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Energiekrise EU-Gas-Rettungsplan: 15 Prozent sind nicht 15 Prozent

Die EU-Energieminister haben sich auf einen gemeinsamen Plan verständigt, dass jedes der 27 EU-Mitglieder seinen Gaskonsum freiwillig um 15 Prozent drosselt. Ein Zeichen der Solidarität primär mit Deutschland und im kleineren Mass mit einigen osteuropäischen Staaten. Scheinbar.

Der von der EU-Kommission erst vor einer Woche vorgeschlagene Gas-Sparplan ist im Grunde genommen ja ein Rettungsplan für die deutsche Industrie. Das wissen alle. Denn Deutschland hat Jahrzehnte lang über den Verhältnissen gelebt, billiges Gas aus Russland importiert und das zu einem hohen politischen Preis, wie sich jetzt zeigt.

So viel Gas einsparen wie möglich

Weil Russland mit Deutschland und der EU ein Katz- und Mausspiel betreibt, führt kein Weg daran vorbei, sofort so viel Gas einzusparen wie möglich. Bekanntlich strömt einmal etwas mehr, dann wieder weniger russisches Gas nach Europa.

Alle wissen auch: Wenn in Deutschland das Gas fehlt, um ausreichend Strom und Wärme für die deutsche Industrie zu garantieren, dann rutscht das Land in eine Wirtschaftskrise. Die Folgen würden alle EU-Staaten spüren. Möglicherweise wirkt das etwas disziplinierend. Auf freiwilliger Basis, natürlich…

Scheinbare europäische Solidarität

Der Beschluss der EU-Energieministerinnen und Minister ist aber nur scheinbar ein gutes Zeichen europäischer Solidarität. Es ist nicht zu übersehen, dass die Mehrheit der EU-Staaten nur zustimmte, weil eine Mehrheit grosszügig Ausnahmen aushandeln konnte. Das 15-Prozent-Sparziel für Zypern, Malta, Spanien, Griechenland, Irland oder Portugal ist nicht gleich 15 Prozent für andere EU-Staaten.

Da zeigt sich, wie die EU funktioniert. Sie kann sich zusammenraufen für einen Konsens, unter gewissen Bedingungen. Anders als die EU-Kommission wollten die EU-Staaten sodann sicherstellen, dass sie weiter selbst bestimmen können, wann ein Notstand eintritt und welche Konsequenzen damit verbunden wären. Wenn es droht, verbindlich zu werden, stösst die europäische Solidarität an ihre Grenzen.

Die EU funktioniert in der Energiekrise also nicht anders als in der Pandemie: In Brüssel wird Solidarität versprochen. Daheim wird dann aber im eigenen nationalen Interesse entschieden.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Tagesschau, 26.07.2022, 12:45 Uhr

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