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Entscheid des EU-Rats EU-Kandidatenstatus für die Ukraine – das müssen Sie wissen

Es kann ein historischer Tag für die Ukraine und Moldawien werden. Die Staats- und Regierungschefs und -chefinnen der Europäischen Union entscheiden darüber, ob die beiden Länder den Kandidatenstatus erhalten.

Ist die Zustimmung im Europäischen Rat nur noch eine Formsache? In Brüssel gehen ziemlich alle davon aus, dass die Ukraine den Kandidatenstatus erhält. Bereits vor einer Woche haben sich die drei Spitzenpolitiker Scholz, Macron und Draghi in Kiew klar für den Kandidatenstatus ausgesprochen und einen Tag später, am Freitag, empfahl die EU-Kommission offiziell diesen Status für die Ukraine und Moldawien.

In Brüssel ist allerdings erst dann alles unter Dach und Fach, wenn dann auch alle 27-Mitgliedstaaten zugestimmt haben. Einige befürchten, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban die Harmonie noch stören könnte. Man denkt aber, dass auch Ungarn zustimmen wird. Eine Ablehnung des Kandidatenstatus für die Ukraine wäre ein verheerendes Signal in Richtung Moskau.

Bedeutet der Kandidatenstatus, dass die Ukraine dann auch schon bald Mitglied der Europäischen Union wird? Nein, es ist eher ein symbolisches Zeichen der EU-Mitgliedstaaten, dass sie sich die Ukraine als potenzielles Mitglied vorstellen können. Man sollte aber die symbolische Wirkung der Beitrittsperspektive, gerade für die ukrainische Bevölkerung, wohl nicht unterschätzen.

Wann wäre ein Beitritt in die EU möglich? Das würde auch in dem Fall, dass die EU und Moldawien den Kandidatenstatus erhalten, noch Jahre dauern. Die beiden Länder werden von der EU-Kommission einen ganzen Katalog an Bedingungen erhalten, beispielsweise im Bereich der Korruptionsbekämpfung. Erst wenn diese Bedingungen erfüllt sind, kann es im Beitrittsprozess einen Schritt weitergehen. Für einen effektiven Beitritt muss ein Beitrittskandidat die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen. Bei diesen Kriterien geht es unter anderem um Themen wie Rechtsstaatlichkeit oder die Fähigkeit, die eigene Wirtschaft in den EU-Binnenmarkt integrieren zu können.

Auch im Westbalkan habe einige Länder wie Albanien oder Nordmazedonien den Kandidatenstatus. Wie sieht dort die Perspektive aus? Nordmazedonien und Albanien warten seit Jahren darauf, dass die EU mit ihnen Beitrittsverhandlungen startet. Dazu ist es wegen diversen Blockaden durch die Mitgliedstaaten bis jetzt noch nicht gekommen. Bei Nordmazedonien blockierte zuerst Griechenland den Prozess, solange bis das damalige Mazedonien seinen Namen änderte, zurzeit setzt Bulgarien sein Veto ein.

Unverständnis und Frust im Westbalkan

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Der Westbalkan, das sind sechs Länder: Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Kosovo, Albanien und Nordmazedonien. Vier davon sind schon EU-Beitrittskandidaten. Noch nicht Kandidaten sind Bosnien-Herzegowina und Kosovo, das noch kein Gesuch gestellt hat.

Dass es bei ihren Ländern nicht vorwärtsgeht – und sich in der EU alles nur noch um den Kandidatenstatus der Ukraine zu drehen scheint, sorgt im Westbalkan für Unmut. Peter Balzli, SRF-Korrespondent in Wien, findet dies verständlich: «Man versetze sich etwa in die Haut der nordmazedonischen Minister. Seit Jahren tun sie absolut alles, um mit ihrem Land in die EU zu kommen. Sie haben sogar gegen ihren Willen den Namen ihres Landes geändert. Und trotzdem lässt sie die EU nicht beitreten. Sie fühlen sich auf der ganzen Linie betrogen. Und die anderen Länder in der Region sehen das natürlich auch.»

Der Westbalkan hat schon länger keine Geduld mehr und bereits eine eigene Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, den «Open Balkan». Peter Balzli sagt dazu: «‹Open Balkan› ist zwar ein kleiner Wurf – aber doch ein Wurf. Es sind zwar nur 12 Millionen Menschen. Aber es ist doch ein Lebenszeichen der Westbalkanstaaten, dass sie die Nase voll haben und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Aber klar: ‹Open Balkan› wird kein Ersatz für einen EU-Beitritt. Das ist allen klar.»

Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass der Europäische Rat selbst nicht genau weiss, ob man überhaupt ernsthaft an weiteren Mitgliedern interessiert ist. Gerade aus Frankreich hört man seit längerer Zeit, dass sich die EU zuerst intern reformieren müsse, bevor man für weitere Mitglieder bereit sei.

10vor10, 22.6.2022, 21:50 Uhr

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