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Erdbeben in Amatrice «Wir leben im Staub oder im Schlamm»

Sieben Monate ist es her, dass in Amatrice die Erde bebte. Tausende Menschen haben ihr Zuhause verloren. Jetzt können die ersten Italiener in neue Häuser einziehen. Aber nicht alle im zerstörten Städtchen sind glücklich. SRF-Korrespondent Franco Battel hat mit ihnen gesprochen.

200 Häuschen bis Ostern: Das ist das grosse Ziel in Amatrice. 200 Häuser, zusammengebaut aus Fertigelementen, sollen bis in drei Wochen für die Bevölkerung parat stehen. Endlich wieder ein Dach über dem Kopf.

Nach dem grossen Beben vom 24. August letzten Jahres und drei weiteren schweren Beben ist das mittelitalienische Städtchen noch weit weg vom Alltag: Das historische Zentrum besteht noch immer aus einer Million Kubikmeter Schutt. Einen Plan für den Wiederaufbau gibt es noch immer nicht. Und 85 Prozent der Häuser seien nicht bewohnbar, sagt Fabrizio Cola, der Chef des Zivilschutzes.

Viele Leute in Amatrice leben noch immer in Wohnwagen oder Containern. Auch der Zivilschutz verfügt nur über ein Zelt. In diesem koordiniert Cola die Hilfe für die Erdbebenopfer. Rund um die Uhr arbeiten seine Leute daran, damit es endlich vorwärts geht in dem von Erdbeben gebeutelten Städtchen. Es ist kein einfaches Leben in Amatrice: «Je nach Wetter leben wir im Staub oder Schlamm» – diesen Satz hört man in Amatrice immer wieder. Der Wind wirbelt den Staub der Trümmerhaufen auf und verteilt ihn. Später verwandelt ihn der Regen in Schlamm.

Glück und Unglück sind nah beieinander

Aber auch wenn es der Zivilschutz schafft, die 200 Häuser bis Ostern fertig zu stellen, sind noch lange nicht alle Bewohner zufrieden: Weil der Platz längst nicht für alle reichte, musste die Gemeinde die Häuschen verlosen. Wessen Namen nicht gezogen wurde, muss weiter auf seine eigenen vier Wände warten. (Fotogalerie)

Strasse mit gelben Häuschen
Legende: 25 Häuser aus Fertigelementen stehen schon. Bis Ostern sollen es 200 werden: Das neue Zuhause der Bewohner von Amatrice. SRF

Antonio hatte Glück – und das gleich zwei Mal: Beim Beben vom 24. August wurde er verschüttet, 10 Stunden lang blieb er unter den Trümmern eingeschlossen. Dann zogen ihn die Rettungskräfte endlich heraus. Zwei Monate lang blieb er im Krankenhaus, damit sein gebrochenes Becken heilen konnte. Erst kam er in eine Notunterkunft, dann dank dem Losglück zu seinem neuen Zuhause: Dunkelgelb und mit einer kleinen Veranda, wie jedes der neu errichteten Häuser.

Keine Geschäfte, keine Arbeitsplätze

Trotzdem: Gut geht es Antonio nicht. Beim Erdbeben verlor er seine Frau und seine Tochter. Er hat keine Arbeit mehr und nur noch genug Geld, weil seine pensionierte Mutter ihn unterstützt.

Sergio Pirozzi in seinem Büro.
Legende: Sergio Pirozzi, der Bürgermeister von Amatrice, arbeitet seit Oktober letzten Jahres in einem Container. SRF

Auch Amatrices Bürgermeister Sergio Pirozzi muss noch auf sein Büro verzichten. Weil das Stadthaus einstürzte, arbeitet er in einem Container, dessen Tür weit offen steht. Er ist zuversichtlich, was den Häuserbau angeht.

Doch ein anderes Problem bereitet ihm grosse Sorgen: «Was hier wirklich fehlt, das sind Arbeitsplätze. Was nützen uns diese Häuser, wenn die Leute, die drin leben, keine Arbeit haben?»

«Hier will ich sterben»

Gleich sieht es Louisa: Sie hatte kein Losglück und lebt deshalb noch immer mit ihrer Tochter in einem Wohnwagen. Das Erdbeben zerstörte nicht nur ihr Haus, sondern auch das Kleidergeschäft, in dem sie arbeitete. Sie hofft deshalb, dass nicht nur neue Wohnungen entstehen, sondern auch Läden, Geschäfte, Hotels. Wirklich zuversichtlich ist sie aber nicht: «Ich bin zwar Optimistin, aber am Schluss verliert man die Geduld.» Vor ihr haben bereits hunderte Familien Amatrice verlassen, weil sie die Hoffnung verloren haben.

Für Barbara, die ein paar Häuser weiter von Antonio wohnt, kam das nicht in Frage: Sieben Monate lang harrte sie mit ihrem Mann in einem Wohnwagen aus, jetzt bewohnen sie ein Häuschen mit Stube, Bad und zwei Schlafzimmern. Aufgeben kam für die ältere Frau trotz der Beben, trotz des harten Winters nie in Frage: «Ich verlasse Amatrice nicht, hier in meinem Dorf will ich sterben.»

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