Zum Inhalt springen

Erdbeben Türkei-Syrien «Sie wollen wenigstens den Körper beerdigen können»

Anita Bünter und Jonas Bischoff sind normalerweise Nahost-Korrespondentin und -korrespondent im Job-Sharing. Für das katastrophale Erdbeben in der Türkei und Syrien wurden sie zur Sonderkorrespondentin und zum Sonderkorrespondent. Etwas mehr als eine Woche lang waren sie für SRF im Katastrophengebiet unterwegs. Im Insta-Live stellten sie sich den Fragen der Community.

Was passiert mit den Menschen, die ihr Zuhause verloren haben? «Was mit ihnen passiert, wissen die meisten Menschen selbst nicht», sagt Bünter. Viele leben zurzeit in Zelten oder unter behelfsmässigen Plastikplanen vor ihren zerstörten Häusern, weil sie die Region nicht verlassen möchten. Zum Teil sind die Menschen auch zu ihren Verwandten in andere Regionen der Türkei gereist. Aus der Krisenregion gibt es zudem Gratisflüge für die Erdbebenopfer, damit sie einfach in andere Teile der Türkei reisen können. «Mehrere Städte, die vom Erdbeben stark betroffen sind, sind teils menschenleer.»

Zudem sei es dort sehr kalt, selbst mit wintertauglichen Schlafsäcken, fügt Bischoff an. Sowohl er als auch Bünter hätten draussen im Zelt übernachtet. «Es war immer ein spezieller Moment, wenn die Sonne unterging. Denn dann wurde es jeweils wieder richtig kalt», so Bischoff.

Ihre Eindrücke aus Antakya

Box aufklappen Box zuklappen
Ein mehrstöckiges Wohnhaus steht nur noch in Teilen da. Drum herum sieht man nur noch Trümmer.
Legende: Antakya am 14. Februar 2023 AP/BERNAT ARMANGUE

Anita Bünter : «Es waren unglaubliche Bilder: Ganze Strassenzüge, die pulverisiert sind. Und Menschen, die ihre Angehörigen suchen – und teilweise noch Hoffnung haben.»

Jonas Bischoff : «Da liegt alles am Boden. Die Häuser sind so schwer beschädigt, dass es unvorstellbar ist, dass sie wieder aufgebaut werden können. Das zu sehen, ist sehr eindrücklich und zugleich traurig – mit all den Schicksalsschlägen, die uns begegnet sind.»

Wer befindet sich noch im Erdbebengebiet? Viele Menschen vermuten noch Angehörige unter den Trümmern. Sie harren aus und hoffen auf ein Wunder, weil es noch immer Meldungen von lebend Geborgenen gibt. «Die Leute sind sich aber bewusst, dass es kaum noch Hoffnung gibt», sagt Bünter. Zumindest wollen sie aber einen Körper haben, den sie begraben können.

Fühlt sich die Bevölkerung von der türkischen Regierung unterstützt oder im Stich gelassen? Es gebe Kritik, so die Sonderkorrespondentin. Die Wut der Menschen in gewissen Regionen ist gross und wird grösser. Sie kritisieren, dass zu wenig und zu langsam Hilfe kam, etwa in den kurdischen Gebieten. «Die Hilfe ist politisiert», sagt Bischoff, sowohl beim Regierungslager als auch bei der Opposition.

Hauptkritikpunkt: Erdbebensicheres Bauen

Box aufklappen Box zuklappen
Eine Frau hält ihre Hand über dem Grab eines verstorbenen Verwandten.
Legende: Eine trauernde Frau hält ihre Hand über dem Grab eines verstorbenen Verwandten. AP/BERNAT ARMANGUE

Einer der Hauptkritikpunkte an die Regierung von Erdogan ist, dass viele Bauten nicht erdbebensicher gebaut, beziehungsweise Bauvorschriften nicht eingehalten worden sind. Dies, obwohl es seit rund 20 Jahren in der Türkei ein entsprechendes Gesetz gibt. Laut Bischoff gab es vor einigen Jahren eine Art Amnestie, bei der Gebäude, die nicht erdbebensicher gebaut waren, legalisiert worden sind. «Man konnte einen gewissen Geldbetrag bezahlen, um solche Gebäude zu legalisieren», ergänzt Bünter. Bei Gebäuden, die eingestürzt sind, fehlten teilweise tragende Säulen und Wände. Ausserdem habe es an Kontrollen gemangelt.

Wie funktioniert das Handynetz in den betroffenen Regionen? Das sei sehr unterschiedlich gewesen, rekapituliert Bischoff. Teilweise war die Verbindung sehr schlecht. «Wir haben dann per WhatsApp Nachrichten verschickt, damit wir überhaupt kommunizieren konnten.»

Allerdings habe es an gewissen Orten gar kein Netz gegeben. Für Notfälle hätten sie aber ein Satellitentelefon bei sich gehabt.

Wie geht die betroffene Bevölkerung mit Helfern um? Es gebe eine riesige Solidarität im Erdbebengebiet, sagt Bischoff. «Obwohl wir unser Essen selbst mitgebracht haben, gab es inmitten der zerstörten Bauten Menschen, die Essen verteilt haben und selbst uns Journalistinnen und Journalisten davon zustecken wollten.»

Sie boten auch Kaffee an. «Das war wirklich berührend», so Bischoff.

Warum kehren erste internationale Hilfsorganisationen zurück?

Box aufklappen Box zuklappen

Die ersten Retterinnen und Retter, die die Türkei und auch Syrien betreten haben, sind Such- und Rettungsteams. Diese haben die Aufgabe, Menschen zu suchen und im besten Fall lebend zu retten. Nach über einer Woche bestehe aber kaum noch Hoffnung, dass Leute lebend geborgen werden, sagt Bünter. Deshalb sind viele dieser Teams wieder abgereist oder reisen in den nächsten Tagen ab, weil jetzt der zweite Schritt der Hilfe folgt: die Hilfe für die Überlebenden. Das bedeutet also zum Beispiel das Organisieren einer Unterkunft.

Info 3, 15.02.2023, 12:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel