Mit einem Messer an einem langen Stock, auch Sonki genannt, löst Bauer Abdel Aziz Eldaw vorsichtig die bernsteinfarbene Blase aus Gummiarabikum von der Akazie. Im letzten Monat hatte der Bauer mit demselben Sonki-Werkzeug die Rinde der Akazie eingeritzt.
Seither scheidet der Baum Wundsaft aus: gelblich, rötlich schimmern die bis zu fünf Zentimeter grossen, runden Gummikugeln in der Sonne. Es ist heiss hier in Elhemira, im Gummiarabikum-Gürtel in Nordkordofan, im Süden des Sudans.
Wolkenloser Himmel, trockene, sandige Erde, Akazien so weit das Auge reicht. «Hier haben schon unsere Eltern und Grosseltern Gummiarabikum geerntet», sagt der 46-jährige Abdel Aziz Eldaw. Die Akazien sind äusserst wichtig für ihn. Damit könne er Schul- und Universitätsgebühren für seine zehn Kinder bezahlen.
Wie wichtig Gummiarabikum für die Bauern in der Region ist, das untersucht Muneer Elyas am Institute of Gum Arabic Research in der 40 Kilometer entfernten Stadt El Obeid. Für mehr als fünf Millionen Menschen sei Gummiarabikum ein wichtiger Lohnbestandteil im Sudan, so der Wissenschaftler.
Die Lebensmittel-, Textil-, Pharma-, ja sogar die Autoindustrie. Gummiarabikum wird überall gebraucht.
Zudem habe das Gummi hohen kulturellen Wert: «Wir benutzen Gummiarabikum für unser Essen, als Medizin zum Beispiel gegen Durchfall, um Häuser zu bauen oder für Tinte in den Koranschulen.» Doch natürlich sei Gummiarabikum ausserhalb des Sudans ein noch viel wichtigerer Bestandteil des Alltagslebens, so Forscher Muneer Elyas: «Die Lebensmittel-, Textil, Pharma-, ja sogar die Autoindustrie. Gummiarabikum wird überall gebraucht.»
Gummiarabikum ist natürlich, praktisch farb- und geruchlos und sehr gut löslich in Wasser. «Es sorgt dafür, dass Farbe und Geschmack in den Lebensmitteln bleiben», so Forscher Muneer Elyas. Es mache Getränke homogen und Produkte länger haltbar. Kurz: Gummiarabikum macht das Yoghurt cremig, dass der Zuckerüberzug auf der Zimtschnecke nicht kristallisiert, es hält die Kopfwehtablette zusammen. Und vor allem sorgt es dafür, dass sich die Zusätze bei Limonaden nicht am Rand oder Boden absetzen.
US-Aussenpolitik wegen Gummiarabikum angepasst
Das wurde zum grossen Politikum, als der Sudan während der Diktatur von Omar al-Baschir unter Sanktionen stand: «Als die Sanktionen 1997 eingeführt wurden, hat man Gummiarabikum als einziges Exportgut davon ausgenommen. Weil es ein ganz wichtiger Bestandteil von Coca-Cola ist», so Muneer Elyas. Ohne Gummiarabikum funktioniere Coca-Cola nicht.
«Limonadendiplomatie» wurde die Aussenpolitik der USA gegenüber dem Sudan damals genannt. Das Einknicken der Politik gegenüber der Getränke-, aber auch der Pharmalobby, die ebenso auf das bernsteinfarbene Sekret aus den Akazien angewiesen ist.
Derweil holt Bauer Abdel Aziz Eldaw die letzten Gummikugeln vom Baum für heute. «Ich bin sehr stolz, weil ich der Welt ein schönes und gutes Produkt zur Verfügung stellen kann.» Ein Produkt, das Menschen auf der ganzen Welt tagtäglich konsumieren.