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Erste Tagung ausserhalb der EU Historische Reise: EU-Aussenminister besuchen Kiew

  • Die Aussenministerinnen und -minister aller 27 EU-Staaten sind zu einem historischen Besuch in die ukrainische Hauptstadt Kiew gereist.
  • Es sei das erste Mal überhaupt, dass sie sich alle ausserhalb der EU getroffen hätten, sagte EU-Chefdiplomat Josep Borrell.
  • Bei den Beratungen ging es um die Lage angesichts der russischen Invasion und die Unterstützung der EU für die Ukraine.
  • Borrell hat dabei weitere EU-Hilfe in Aussicht gestellt: Die Ukraine soll von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro erhalten. Eine entsprechende Einigung soll noch dieses Jahr erzielt werden.

«Mit ihrem Besuch in Kiew haben die Aussenminister der EU angesichts dieses ungerechten und illegitimen Krieges ein starkes Zeichen der Solidarität und Unterstützung an die Ukraine gesendet», sagte EU-Chefdiplomat Borrell zu den Regierungsvertreterinnen und Vertretern.

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock bekräftigte ihre Forderung nach einem «Winterschutzschirm» für die Ukraine. Dazu gehöre der Ausbau der Luftverteidigung, die Lieferung von Stromgeneratoren und die Stärkung der Energieversorgung.

«Geld sitzt bei EU-Mitgliedstaaten nicht mehr so locker»

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Wie kann die EU die Ukraine langfristig unterstützen? Diese Frage ist politisch bisher nicht beantwortet. Für die europäische Unterstützung der Ukraine – zivil und militärisch –  sind in kommenden Jahren Dutzende Milliarden Euro nötig. Geld, das das reguläre EU-Budget zurzeit nicht hergibt. Ohne zusätzliche Mittel aus den EU-Mitgliedstaaten wird es deshalb kaum gehen. Doch bei diesen sitzt das Geld in den aktuell wirtschaftlich flauen Zeiten nicht mehr so locker.

Wie gross die europäische Unterstützung für die Ukraine künftig sein wird, zeigt sich daher nicht in erster Linie bei symbolischen Treffen wie in Kiew, sondern viel mehr in den trockenen, finanzpolitischen Entscheiden der kommenden Monate in Brüssel. Die entsprechenden Diskussionen zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten dürften zäh werden.

Einschätzung von EU-Korrespondent Andreas Reich

Im vergangenen Winter hatte Russland mit systematischen Angriffen auf die Energieversorgung versucht, die Ukrainer niederzuzwingen.

Der ukrainische Aussenminister Dmitro Kuleba sagte, Botschaft des Treffens sei, dass sich die EU in die Ukraine ausweite; dafür sei man sehr dankbar. Das «historische Ereignis» finde zwar ausserhalb der derzeitigen EU-Grenzen statt, «aber innerhalb der zukünftigen EU-Grenzen».

Mehr Geld für die Ukraine

Borrell hatte vor dem Treffen vorgeschlagen, der Ukraine längerfristig Geld für Rüstung zuzusagen und mit EU-Geld auch die Lieferung moderner Kampfjets und Raketen zu finanzieren. So will er von 2024 bis Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro mobilisieren.

Über mehr könne im Zuge der Verhandlungen über eine Revision des noch bis Ende 2027 laufenden langfristigen EU-Haushalts entschieden werden, fügte er hinzu.

Zudem bekräftigte Borrell das Ziel, bei der Zahl der in der EU ausgebildeten ukrainischen Streitkräfte in einigen Monaten die Marke von 40'000 Soldatinnen und Soldaten zu erreichen und dabei auch Spezialtrainings für Kampfjet-Pilotinnen und -Piloten anzubieten.

Besorgt über künftige US-Hilfen

Dänemark unterstützt gemäss seinem Aussenminister Lars Løkke Rasmussen den Vorschlag Borrells, der Ukraine längerfristig finanziell und militärisch zu helfen.

Mit Blick auf möglicherweise sinkende US-Hilfen für die Ukraine sagte er, Europa leiste aus seiner Sicht bereits jetzt seinen Teil. Es müsse aber bereit sein, noch mehr zu tun. Mehrere EU-Vertreterinnen äusserten sich besorgt, dass die Finanzierung der US-Hilfen für die Ukraine wegen eines Haushaltsstreits derzeit in der Schwebe ist.

Nebst dem «Winterschutzschirm», den die deutsche Aussenministerin Baerbock fordert, will sie unbedingt auch einen Zusammenbruch der Wasserversorgung verhindern.

Putin würde darauf setzen, dass diese bei minus 20 Grad nicht mehr funktioniere. Man habe im vergangenen Winter gesehen, «in welcher brutalen Weise der russische Präsident diesen Krieg auch führt, in dem er bewusst Elektrizitätswerke angreift», so Baerbock.

Während aus den meisten EU-Ländern der Minister oder die Ministerin anreiste, war Polen durch einen Vizeaussenminister vertreten. Das enge Verhältnis zur Ukraine ist derzeit belastet wegen eines polnischen Importstopps für ukrainisches Getreide. Auch aus dem russlandfreundlichen Ungarn kam nur ein ranghoher Diplomat.

Ukraine und künftiger EU-Beitritt

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Die deutsche Aussenministerin Baerbock bekräftigte das Versprechen der EU, die Ukraine zu einem noch unbestimmten Zeitpunkt in die Staatengemeinschaft mit ihren derzeit 27 Mitgliedern aufzunehmen. «Die Zukunft der Ukraine liegt in der Europäischen Union, in dieser Gemeinschaft der Freiheit. Und die wird sich bald erstrecken, von Lissabon bis Luhansk.»

Die Ukraine ist seit Juni 2022 offiziell Beitrittskandidat. Über die Aufnahme von Verhandlungen müssen die EU-Staaten aber noch einstimmig entscheiden. Ein positives Votum soll es dann geben, wenn die Ukraine bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Dazu zählen Erfolge im Kampf gegen die Korruption.

EU-Chefdiplomat Borrell wies diesbezüglich auf einen noch in der zweiten Jahreshälfte erwarteten Bericht der EU-Kommission, auf dessen Grundlage die EU-Staaten bis Ende des Jahres über einem möglichen Start von EU-Beitrittsverhandlungen entscheiden wollen.

Echo der Zeit, 2.10.2023, 18:00 Uhr ; 

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