Vorschusslorbeeren erhielt die 61-jährige Tatiana Valovaya kaum. Sie war jahrzehntelang eine russische Funktionärin und Diplomatin. Zuletzt acht Jahre lang bei der Eurasischen Wirtschaftskommission, wo sie zwar nicht mehr direkt in den Diensten des Kremls stand, aber wo Moskau die Schlüsselrolle spielt.
Sie beerbt den Dänen Michael Möller, der für sein starkes Engagement für den Genfer UNO-Sitz und für die Pressefreiheit geschätzt wurde. Valovaya hat also zunächst einen schweren Stand. Das Misstrauen ihr gegenüber gründet auch darin, dass Moskau, das den UNO-Chefposten Ende des 20. Jahrunderts lange besetzte, stark lobbyierte.
Stolze Journalistin und Ökonomin
Entsprechend gross war nun der Medienaufmarsch, als sich Tatiana Volovoya erstmals gegenüber den Medien äusserte und Bedenken zu zerstreuen versuchte. Gleich eingangs betonte sie, dass sie ursprünglich Journalistin, Spezialistin für Währungsfragen, war, und journalistisches Blut in ihren Adern fliesse. Schon ihr Vater sei ein bekannter Journalist gewesen. Stolz ist sie aber vor allem auf ihren Ruf als Ökonomin.
Sie erklärte von sich aus auch, sie wisse sehr wohl, dass sie als UNO-Chefin in Genf der UNO und nicht Russland verpflichtet sei. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres, dessen Statthalterin in Genf sie nun ist, habe ihr ausdrücklich aufgetragen, die UNO solle besser kommunizieren, deutlicher zeigen, was sie auf ganz vielen Feldern tue.
Als erste Frau im Amt
Besonders stolz ist sie, als erste Frau diesen UNO-Schlüsselposten anzutreten. Das verpflichte sie zugleich. Eine Umfrage ergab neulich, dass am UNO-Sitz in Genf sexuelle Belästigungen durchaus verbreitet sind. Valovaya betonte: «Die UNO muss ein Vorbild in Sachen Gendergerechtigkeit sein.»
Die UNO muss ein Vorbild in Sachen Gendergerechtigkeit sein.
Nichts Näheres zum Thema Menschenrechte
Einen Heiterkeitserfolg erntete sie, als sie sich zum neuen Nebenamt als Generalsekretärin der UNO-Abrüstungskonferenz äusserte. Diese wird seit Jahren von den USA, China und nicht zuletzt auch von Russland blockiert. Die Lage dort sei stabil – und zwar in dem Sinne, dass sich rein gar nichts bewege, stellte Valovaya fest und ergänzte: «Die Männer rüsten auf, die Frauen versuchen abzurüsten». Damit griff sie den Umstand auf, dass momentan die wichtigsten Abrüstungsposten bei der UNO in Genf in Frauenhand sind.
Was auffällt: Während Valovaya den Klimaschutz, den Frieden oder die UNO-Nachhaltigkeitsziele als Prioritäten definierte, sagte sie zu einem weiteren Kernthema der UNO in Genf so gut wie nichts: zu den Menschenrechten.
Vielversprechende Aussagen
Dennoch zerstreute Valovaya einige Bedenken. Sie präsentierte sich als zupackende, muntere, zugängliche Person. Sie unterstrich, die Arbeit ihres Vorgängers Möller fortführen zu wollen. Das ist aus Schweizer Sicht so wichtig wie nie zuvor. Zum einen steht jetzt die überfällige und erste Grossrenovierung des Palais des Nations an. Zum anderen versuchen immer mehr Konkurrenzstädte, Genf UNO-Organe abspenstig zu machen. Deshalb ist die Schweiz darauf angewiesen, dass sich die UNO-Chefin für die Rhonestadt einsetzt.
Auch zu heiklen Fragen äussert sich Tatiana Valovaya durchaus pointiert. Allerdings vorläufig nur bei ausgeschalteten Mikrophonen. Sie wolle, so sagt sie, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Denkbar also, dass künftig von der neuen Herrin im Palais mehr zu hören ist.