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EU-Parlament Warum das EU-Parlament den Ratsvorsitz Ungarns kritisch sieht

Ungarn soll eigentlich turnusmässig von Juli bis Dezember 2024 die Ratspräsidentschaft im EU-Parlament übernehmen. Nun hat das Europaparlament infrage gestellt, ob Ungarn dafür geeignet ist. Die Abgeordneten verabschiedeten am Donnerstag in Brüssel mit grosser Mehrheit eine entsprechende Resolution. SRF-EU-Korrespondent Charles Liebherr ordnet ein.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Warum hat das Europaparlament Bedenken?

Ungarn ist das falsche Aushängeschild für die Europäische Union. In den Augen des Parlamentes ist das Land gar keine richtige Demokratie mehr. Ungarn missachtet die Grundwerte der EU regelmässig, etwa in Bezug auf die Rechte von gleichgeschlechtlichen Paaren. Ein Land, das immer wieder gegen Grundrechte der EU verstösst, gegen das offiziell ein Verfahren läuft und das vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird, kann nicht die Ratspräsidentschaft der EU übernehmen.

Was bringt die Resolution?

Das Parlament fordert die Mitgliedstaaten auf, Ungarn bei der Ratspräsidentschaft zu übergehen. Das ist zwar möglich, wird aber kaum der Fall sein. Es geht dem EU-Parlament darum, eine öffentliche Debatte anzuregen über den «Fall Ungarn». Dies immer mit dem Ziel, Druck auf die ungarische Regierung auszuüben, damit diese auf den Weg eines normalen europäischen Rechtsstaats zurückkehrt – was Ungarn in den Augen des Parlaments nicht mehr ist. Rechtlich hat die Resolution keine Auswirkungen.

Was wäre daran so schlimm, wenn Ungarn die Präsidentschaft übernehmen würde?

Einerseits ist der Moment nicht ganz so tragisch, zumal sich das Europäische Parlament im zweiten Halbjahr 2024 neu konstituiert: Es wird eine neue Kommission eingesetzt. Das heisst, in diesem Halbjahr werden keine wichtigen Gesetze beschlossen. Andererseits gibt die Ratspräsidentschaft der jeweiligen Regierung zusätzliche Öffentlichkeit – und das kann ein Land eben auch dazu nutzen, spezielle politische Akzente zu setzen.

Was für Möglichkeiten hat ein Land, das den EU-Ratsvorsitz innehat?

Es kann informelle Treffen zu ausgewählten Themen einberufen. Via Sitzungsleitung kann es Entscheidungen in der EU mitsteuern. Es gibt also einige Gestaltungsmöglichkeiten. Und da befürchten viele, dass die Regierung Orban dies ausnutzen könnte. Etwa, um die EU in politische Widersprüche zu führen. Das ist natürlich genau das Gegenteil, was die EU aktuell will: Sie will Geschlossenheit markieren, gerade im Umfeld des Ukraine-Krieges gegenüber Russland.

Ungarns Premierminister Viktor Orban, im Hintergrund die EU-Flagge und Ungarns Flagge
Legende: Es wird befürchtet, dass die Regierung von Ungarns Premierminister Viktor Orban die Situation ausnützen könnte. Archiv/KEystone/EPA/Benko Vivien Cher/Handout

SRF4 News, 2.6.2023, 7:20 Uhr ; 

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