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EU-Türkei-Gipfel «Die Tonlage hat sich verändert»

Die EU und die Türkei haben sich bei ihrem Gipfeltreffen in der bulgarischen Hafenstadt Warna nicht angenähert. Die Liste der heiklen Gesprächsthemen war lang: Die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, die türkische Militäroffensive in Syrien oder das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU. Einschätzungen von ARD-Korrespondentin Karin Sens in Istanbul.

SRF News: Die EU-Spitze gibt sich ernüchtert. Kann Präsident Recep Tayyip Erdogan ein positiveres Fazit ziehen?

Karin Senz: Zumindest, wenn man der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu glaubt, die ja so etwas wie die Pressestelle des türkischen Präsidenten ist. Da kamen gestern Eilmeldungen, Erdogan hoffe, man könne die schwierigen Beziehungen hinter sich lassen. Auch hoffe er auf einen neuen Prozess bezüglich Zollunion. Allerdings meldet die Agentur auch, dass es ein schwerer Fehler wäre, die Türkei aus der Erweiterungspolitik zu werfen. Juncker habe Erdogan praktisch versprochen, für weitere Verhandlungen einzustehen. Schon im Vorfeld des Treffens hatte Erdogan zudem von seinen «europäischen Freunden» gesprochen. Wenn man also die Tonlage in der Türkei vor dem Treffen wie nach dem Treffen anhört, hat sich diese gegenüber den letzten Monaten doch geändert.

Anders tönt es von der EU-Spitze. Was hat Erdogan da entgegnet?

Er machte unter anderem geltend, dass er bei seinem Einsatz in Afrin gegen den Terror von der EU nicht genügend unterstützt werde. Er bekämpfe die PKK und den IS, was ein wichtiges Ziel für die Türkei sei. Dafür möchte er als strategischer Partner nicht dauernd kritisiert werden. Auch respektiere die Türkei die Menschenrechte, betonte Erdogan nochmals. Er habe die EU über seinen Afrin-Einsatz informiert, der Kanal sei jetzt offen.

Konnte Erdogan seine Anliegen anbringen?

Klar. Er hat auf jeden Fall nochmals angemahnt, dass die 3,3 Milliarden Euro für die Flüchtlinge im Land in der Türkei endlich fliessen sollten. Das gehe zu langsam. Bis jetzt seien erst 1,85 Milliarden angekommen. Da klang es von Seiten der EU schon so, als würde man versuchen, noch schnellere Wege zu finden. Die EU wies zugleich auf die verschiedenen Kontrollmechanismen hin, um zu prüfen, wohin das Geld fliesst. Was die Zollunion betrifft, forderte Erdogan eine schnelle Diskussion. Von der EU klang es allerdings nicht vielversprechend, dass sich in diesem Punkt etwas tun könnte.

Erdogan sagte, der EU-Beitritt bleibe ein Ziel. Wie steht es damit?

Juncker sagte, er finde es auch sehr schade und sei traurig, dass man mit diesem Betritt nicht wirklich vorankomme. Er hat aber auch nicht wirklich dargelegt, wo die Schuld liegt. Er sagte zugleich sehr klar, dass die Türkei zuerst einmal ihre Beziehungen zu den EU-Ländern verbessern müsse und nannte ausdrücklich Griechenland und Zypern. Es war also sehr klar, dass man die Latte für einen EU-Betritt sehr hoch hängt, auch mit Blick auf die in der Türkei inhaftierten Journalisten.

Wie ist das aktuelle Verhältnis EU-Türkei einzuschätzen?

Tusk hat es sehr gut auf den Punkt gebracht, indem er sagte, dass man weder Lösungen noch Kompromisse gefunden habe, aber weiter im Gespräch bleiben wolle. Das ist das einzige Signal, dass man aus diesem Treffen wirklich ziehen kann. Die Diplomatie ist gerade in Zeiten von schwierigen Beziehungen sehr wichtig. So will man sich bereits im Juni wieder treffen. Interessant ist, wie Erdogan hier versucht, in verschiedenen Punkten auf die EU zuzugehen und die Tonlage zu ändern.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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