Am Anfang der Brücke, im polnischen Zgorzelec, steht der tote Papst – zumindest sein Denkmal. Am Ende der Brücke, im deutschen Görlitz, stehen Bauten aus Renaissance, Barock, Jugendstil. Als hätte man alles gleichzeitig in einem Freilichtmuseum zeigen wollen. Hier haben Kate Winslet und Arnold Schwarzenegger Filme gedreht.
Von Polen nach Deutschland, ein Kinderspiel. Wir parkieren unser Auto mit polnischem Nummernschild, eine Frau reisst das Fenster auf. Sie schreit: «In dieser Strasse schauen alle Autos in dieselbe Richtung, parken Sie gefälligst andersrum!»
(Fast) grenzenlos
Katarzyna Wilk-Sosnowka kommt aus Zgorzelec und erwartet uns in der Görlitzer Altstadt-Pracht samt Strassenmusik. Sie sagt, auch hier hänge der Himmel nicht voller Geigen – und wechselt ins Polnische. Vor Jahren zog sie von Zgorzelec nach Görlitz, weil hier die Wohnungen grösser sind. Weil tausende leer stehen.
Anders als in Zgorzelec: Dort gibt es zwar viele Plattenbauten, aber zu wenige Wohnungen. Zuerst arbeitete Katarzyna Wilk-Sosnowka von Görlitz aus weiterhin als Journalistin in Polen. Doch der Lohn reichte nicht, Görlitz ist teurer, die Löhne sind viel höher. Nun arbeitet sie in Deutschland in der Kulturbranche und drüben in Polen als freie Journalistin.
Grenzenlos, wie tausende Deutsche und Polinnen. Zumindest fast: Polinnen leben in Deutschland, Deutsche in Polen. Polen arbeiten in beiden Ländern, Deutsche aber arbeiten in Deutschland. Immer noch gibt es ein Gefälle zwischen den Reicheren und den Ärmeren, immer noch gibt es Vorurteile.
Ganz langsam allerdings verschwinden Unterschiede. Gerade sei in Zgorzelec ein Logistikzentrum entstanden, sagt Katarzyna Wilk-Sosnoska, wieder auf Deutsch. «Sie haben mir gesagt, dass sie ganz genau wüssten, dass wir hier an der Grenze ein bisschen mehr bezahlen müssen.»
Sogar die deutschen und polnischen Anonymen Alkoholiker arbeiten zusammen.
Früher waren Zgorzelec und Görlitz am Fluss Neisse eine – deutsche – Stadt. Die Landesgrenze trennt den Ort erst seit 1945, nach den Nazi-Gräueltaten vertrieb man die Deutschen aus Gebieten, die nun polnisch geworden waren. Heute empfangen uns die beiden Bürgermeister wieder gemeinsam im Rathaus von Zgorzelec – Rafal Gronicz und Octavian Ursu.
«Sogar die deutschen und polnischen Anonymen Alkoholiker arbeiten zusammen», sagt Gronicz. Jetzt möchten die Bürgermeister eine neue Brücke über die Neisse bauen. Das wäre eigentlich schnell erledigt, sagen sie, die Stadtparlamente tagen oft zusammen. Aber Berlin und Warschau benähmen sich kompliziert, unterschiedliche Gesetze.
Einfacher werde dafür der Alltag, sagt Octavian Ursu, vor allem dank der Jüngsten. Polnische Jugendliche gingen in Deutschland zur Schule – und umgekehrt. Das Abitur, die Matura machten viele zweisprachig. «Es gibt viele junge Familien, die Deutsch-Polnisch oder Polnisch-Deutsch sind. Die Kinder erkennen gar keine Unterschiede mehr, für sie ist es Normalität, dass wir uns hin und her bewegen.»
Das probieren wir aus und bestellen beim jungen Kellner im Restaurant in Görlitz auf Polnisch. Das funktioniert fast perfekt – ebenso die deutsche Bestellung an der Bar in Zgorzelec. Polen und Deutschland mögen sich schwertun miteinander, mögen sinnbildlich stehen für Europas Gräben – hier an der Neisse aber entstehen Brücken und Sprachbarrieren verschwinden.