Zum Inhalt springen

Europäer reagieren Atomabkommen vor dem Aus

Mit der Ingangsetzung des Schlichtungsverfahrens erhöhen Grossbritannien, Deutschland und Frankreich den Druck auf Iran. Sie tun es aber fast ein bisschen zerknirscht. Nein, schreiben sie in ihrer Begründung, sie fänden es nach wie vor nicht gut, dass die USA 2018 aus dem Abkommen ausgetreten seien. Und, ja, sie möchten dieses Abkommen weiterhin irgendwie retten. So richtig überzeugt von ihrem Beschluss sind sie offenbar nicht. Legitim ist er gewiss. Doch ist er auch klug?

Vor allem ist nicht klar, was genau die Europäer damit erreichen wollen. Geht es darum, Teheran doch noch dazu zu bringen, sich wieder voll und ganz an das Abkommen zu halten – nachdem das Regime in den vergangenen Monaten erklärt hat, immer mehr und mittlerweile fast alle Bestimmungen des Abkommens zu missachten?

Soll neuer Vertrag erreicht werden?

Oder geht vielmehr darum, wie der britische Premierminister Boris Johnson verkündet, der iranischen Führung einen neuen Vertrag à la Trump, wie er ausdrücklich sagt, abzutrotzen.

Also ein ganz neues Abkommen, bei dem es nicht nur um Atomwaffen geht, sondern in dem der Iran auch Zugeständnisse bei seinem Raketenprogramm und bei seiner Rolle im Nahen Osten generell machen müsste? Für beides stehen die Chancen angesichts der aktuellen Verhärtung schlecht.

Werden UNO-Sanktionen wieder eingeführt?

Die Entscheidung der Europäer hat Konsequenzen: Zunächst tritt nun eine Kommission zusammen, in der die drei europäischen Vertragspartner plus Russland und China mit dem Iran eine Lösung suchen. Dafür gibt es enge Fristen. Findet sich keine Lösung, was wahrscheinlich ist, kann der Uno-Sicherheitsrat eingeschaltet werden. Der muss dann nicht etwa neue weltweit verbindliche Sanktionen gegen den Iran verhängen – was Russland oder China mit ihrem Veto verhindern könnten.

Sondern er müsste sich auf eine Verlängerung der Sanktionsbefreiung einigen – was die USA verhindern können. Dieser sogenannte «Snap-Back»- oder Zurückschnappmechanismus sorgt dafür, dass es leicht ist und nicht erneut jahrelange Verhandlungen braucht, um die UNO-Sanktionen wieder einzuführen. Der Mechanismus war von Anfang an gedacht als Mittel zur Disziplinierung des Irans.

Aktion wirkt hilflos

Das bedeutet zugleich: Mit dem heutigen Schritt könnten ausgerechnet die Europäer dem Atomabkommen den Todesstoss versetzen. Was die Frage aufwirft: Warum tun sie das ausgerechnet jetzt, da die Spannungen im Iran-Konflikt so gross sind wie schon lange nicht mehr? Warum taten sie es nicht im vorigen Herbst, als der Iran damit begann, das Abkommen zu verletzen? Oder warum warteten sie nicht zu, bis sich der aktuelle Sturm – möglicherweise – etwas gelegt hat?

Jedenfalls wirkt die Aktion etwas hilflos, das Timing ist irritierend und das Risiko, zusätzlich Öl ins Feuer zu giessen, ist beträchtlich. Freuen dürften sich vor allem US-Präsident Donald Trump einerseits und die Hardliner im Iran andererseits.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Meistgelesene Artikel