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Europäischer Gerichtshof Urteil: Polen muss täglich eine Million Euro Zwangsgeld zahlen

  • Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Polen zur Zahlung eines täglichen Zwangsgeldes in Höhe von einer Million Euro verurteilt.
  • Grund für den Schritt ist nach einer Mitteilung des Gerichtshofes vom Mittwoch die bisherige Weigerung des Landes, höchstrichterliche Entscheidungen zu umstrittenen Justizreformen umzusetzen.
  • Das Zwangsgeld solle bewirken, dass Polen die Einhaltung des EU-Rechts nicht weiter hinauszögere, teilt der EuGH mit.

Polen ignoriert seit Monaten Beschlüsse des höchsten europäischen Gerichts. Das lässt sich der EuGH nicht länger bieten: Er missbilligt Polens Handeln und verurteilt das Land zu einer Zwangsgeld-Zahlung .

Kurzeinschätzung des SRF-Osteuropa-Korrespondenten

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Aus Polen gibt es geharnischte Reaktionen auf die verhängten Strafzahlungen – und doch sagt SRF-Osteuropa-Korrespondent Roman Fillinger: Der Druck dürfte Wirkung zeigen. Konkret bei der strittigen Disziplinarkammer, einem politischen Organ, das polnische Richterinnen und oder Staatsanwälte entlassen kann.

Im Juli befand der Europäische Gerichtshof, dass diese Disziplinarkammer gegen europäisches Recht verstösst und weg muss. Fillinger sagt: «Es ist gut möglich, dass diese Disziplinarkammer jetzt unter dem Druck dieser doch sehr hohen EU-Busse und trotz aller kämpferischer Rhetorik schneller abgeschafft wird als gedacht.»

Laut dem Osteuropa-Korrespondenten würde damit ein sehr wichtiges Instrument wegfallen, mit dem Richterinnen und Richter in Polen eingeschüchtert werden konnten. «Man muss sehen: Es gibt trotz aller Schwierigkeiten nach wie vor viele Richterinnen und Richter in Polen, die unabhängig urteilen. Es gibt sogar Richter, die von der Regierungspartei eingesetzt wurden und gar nicht so regierungskonform urteilen, wie das die Regierung gerne hätte.»

Mit der Abschaffung der Disziplinarkommission würde man aber nicht erreichen, dass alle Gerichte wieder unabhängig sind. «Das Verfassungsgericht zum Beispiel ist nach wie vor politisch besetzt oder auch der Rat, der die Richter wählt, ist nach wie vor politisch besetzt. Da gibt es also noch einiges zu tun.»

Dass Polen mit der Abschaffung dieses Gremiums bislang zugewartet hat, ist laut Roman Fillinger Streitigkeiten innerhalb der polnischen Regierung geschuldet. «Justizminister Zbigniew Ziobro, der Architekt dieser sogenannten polnischen Justizreform, sperrt sich offenbar und droht die Regierungskoalition zu sprengen.»

Epizentrum dieses Streits ist die Arbeit der polnischen Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern. Die EU verlangt von Polen, diese Tätigkeiten zu stoppen, da diese nach EuGH-Entscheidungen nicht mit EU-Regeln zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz vereinbar sind.

Die Einhaltung der Anordnung vom 14. Juli sei erforderlich, um einen «schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden» von der Rechtsordnung der Europäischen Union und der Werte, auf denen diese Union beruhe (...), abzuwenden, liess der Vizepräsident des Gerichtshofs am Mittwoch mitteilen.

«Erpressung»: Polen weist Urteil zurück

Die Finanzsanktionen gegen Polen waren am 9. September von der für die Überwachung der Rechtsstaatlichkeit in der EU zuständigen EU-Kommission beantragt worden. Sie werden nun so lange fällig, bis Polen den Anordnungen des EuGH Folge leistet.

Wegen diesen Ereignissen spitzte sich die Lage zu

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  • Mitte Juli entschied der EuGH, dass Polen mit der Disziplinarkammer gegen europäisches Recht verstösst. Das Land wurde aufgefordert, jene Bestimmungen auszusetzen, mit denen die Disziplinarkammer ermächtigt wird, über Anträge auf Aufhebung der richterlichen Immunität sowie über Fragen zur Beschäftigung und Pensionierung von Richtern zu entscheiden.
  • Polen hatte daraufhin angekündigt, die umstrittene Disziplinarkammer abzuschaffen.
  • Zuletzt arbeitete sie aber weiter alte Fälle ab. Brisant daran: Die Kammer kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen. Kritiker befürchten, sie könne dazu dienen, Richter für unliebsame Entscheidungen zu massregeln.
  • Am 20. September war Polen vom EuGH zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dies wegen des Braunkohle-Abbaus Turow an der Grenze zu Sachsen. Trotz einstweiliger EuGH-Anordnung vom Mai habe Warschau den Braunkohle-Abbau nicht gestoppt, hiess es damals in einer Anordnung der EuGH-Vizepräsidentin Rosario Silva de Lapuerta.

«Die Justizsysteme in der gesamten Europäischen Union müssen unabhängig und fair sein», hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen damals kritisiert. Polens Justizminister Zbigniew Ziobro sprach hingegen von einer «Aggression gegen Polen» und von einem «juristischen hybriden Krieg».

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki warf der EU-Kommission bereits anfangs Woche in einem Interview vor, dass sie «mit einer Pistole an unserem Kopf» Forderungen an sein Land stellen würden. Im Zusammenhang mit der angedrohten Aussetzung finanzieller EU-Corona-Hilfe sprach er sogar von einem «Dritten Weltkrieg».

Hinnehmen wird Polen das Urteil nicht einfach so: Die Zahlung eines täglichen Zwangsgeldes in Höhe von einer Million Euro wies sie als «Erpressung» zurück. «Der EuGH verachtet und ignoriert die polnische Verfassung und die Urteile des Verfassungsgerichts komplett», schrieb Vize-Justizminister Sebastian Kaleta am Mittwoch auf Twitter. Das Gericht überschreite seine Kompetenzen. «Das ist eine weitere Etappe der Operation, die Polen den Einfluss auf seine Staatsform wegnehmen soll. Das ist Usurpation und Erpressung.»

Positives Empfinden im Europaparlament

Erste Reaktionen aus dem Europaparlament auf das neue Zwangsgeld fielen positiv aus. «Das Urteil ist begrüssenswert», sagte der FDP-Abgeordnete Moritz Körner. Die EU-Kommission müsse aber dennoch weiter auch die EU-Corona-Hilfen für Polen zurückhalten.

Auch die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner begrüsst den Entscheid: «Dies zeigt, dass es Konsequenzen gibt, wenn jemand die Rechtsstaatlichkeit untergräbt», sagte Brantner am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. Das Urteil sei ein «Stoppschild für diejenigen, die die Axt an die Demokratie in Europa legen».

SRF 4 News, 27.10.21, 14:00 ; 

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