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Europawahlen «Ein Versprechen, das man nicht halten konnte»

Das Resultat der Europawahlen ist klar. Der Konservative Jean-Claude Juncker müsste ins Amt gewählt werden, denn die Konservativen sind die stärkste Kraft im Parlament. Doch sicher ist das nicht. Mehrere Staatschefs äusserten sich skeptisch über Juncker. Experte Jan Techau analysiert die Situation.

SRF: Bekommt Jean-Claude Juncker nun das Amt – oder doch nicht?

Jan Techau: Seine Chancen stehen nicht so schlecht. Es wird zurzeit hinter verschlossenen Türen über einen Kompromiss diskutiert. Erst muss ausgelotet werden, wo überhaupt die Mehrheiten sind, sowohl im Rat als auch im Parlament. Dieser Automatismus via die Wahlen, von dem alle gedacht und vielleicht auch gehofft hatten, dass er automatisch zu einem Kommissionspräsidenten führen würde, der hat eben nicht gegriffen.

Jan Techau

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Jan Techau
Legende: srf

Jan Techau ist Direktor der Denkfabrik Carnegie Europe. Er beschäftigt sich mit der europäischen Integration und Aussenpolitik.

Was spricht dagegen, dass es Juncker wird?

Es spricht vor allem dagegen, dass sich eine Reihe von Staats- und Regierungschefs gegen Juncker ausgesprochen haben. Sie sind skeptisch, was seine Grundeinstellung gegenüber Europa angeht. Vor allem [der britische Premier – Anm. der Redaktion] David Cameron, der zum konservativen Lager gehört, aber mit der pro-europäischen und sehr integrationsfreudigen Haltung von Juncker nichts anfangen kann. Er hat deswegen signalisiert, dass er ihn nicht mittragen will. Das kostet die Konservativen die Mehrheit. Darum kann dieser Automatismus nicht greifen.

David Cameron hat Juncker als einen von der «alten Schule» bezeichnet. Warum ist das ein Problem?

In Grossbritannien, aber auch in anderen Ländern, ist die Lust auf mehr Europa zurückgegangen. Es gibt mittlerweile eine grosse Europa-Skepsis. Juncker steht für eine fortschreitende Integration, für mehr Europa. Und in dieser holzschnittartigen Darstellung ist Juncker in Grossbritannien nicht vermittelbar, erst recht nicht für die Konservativen. Doch Cameron hat sich nun so festgelegt. Wenn Juncker nun Kommissionspräsident würde, wäre das für Cameron eine herbe Niederlage. Es spielt ziemlich viel britische Politik in diese Frage hinein.

David Cameron ist ja nicht der Einzige, der Skepsis geäussert hat. Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat auch Bedenken angemeldet.

Diese Zweifel gab es im Grunde schon von Beginn an. Es gab sie im konservativen Lager, weshalb sich die Konservativen überhaupt schwer getan haben, einen Spitzenkandidaten zu nominieren. Es gab auch ähnliche Zweifel im Lager der Sozialdemokraten in Europa. Nicht alle waren froh und glücklich darüber, wofür ihr Kandidat Martin Schulz steht. Er steht nämlich ebenso wie Juncker für einen deutlichen Integrationskurs. Damit sind die Franzosen nicht glücklich und die Dänen auch nicht, und auch andere Sozialisten haben eher zähneknirschend zugestimmt.

Wie kam es dazu?

Es zeigt den Haupt-Denkfehler in dieser Frage. Es war im Grunde von vornherein klar, dass man diese Spitzenkandidaten vermutlich nicht wirklich würde halten können. Es hätte dafür ein viel klareres Wahlergebnis geben müssen und es hätte Einigkeit in den Parteien hergestellt werden müssen. Man hat trotzdem an diesem Modell festgehalten und das hat jetzt den Schaden bewirkt.

Einen Schaden auf welcher Ebene?

Man hat ein Versprechen gemacht, das man nicht einhalten kann. Man hat gesagt: Wer der stärkste Kandidat wird, wer die stärkste Fraktion hinter sich bringen kann, der wird automatisch Kommissionspräsident. Das hat vor allem das Europäische Parlament immer wieder gesagt und angekündigt. Leider haben viele Staats- und Regierungschefs dies mitgetragen. Wohlwissend, dass die Situation nach den Wahlen ganz anders aussehen könnte. Man hat bei der Bevölkerung so eine Erwartung erzeugt, dass es auch so kommen wird. Das hat man nicht einhalten können. Nun ist die Verärgerung über Europa gross. Es ist genau diese Art von vorgetäuschter Demokratie in Europa, die man eigentlich nicht mehr haben wollte. Jetzt ist man genau in diese Falle gelaufen.

Das Gespräch führte Urs Gilgen.

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