Als erste gehen am Donnerstag die Niederländer und die Briten an die Urnen, die letzten sind die Italiener. Ihre Wahlbüros schliessen am Sonntagabend um 23.00 Uhr. Ein einheitliches Wahlsystem gibt es nicht. Jedes Land der 28 EU-Staaten führt eine eigene nationale Europawahl durch.
Die EU schreibt lediglich Prinzipien vor. Die Wahl muss allgemein, frei, direkt und geheim sein. Jedes EU-Mitglied lässt aber seine Eigenheiten in «seine» Europawahl einfliessen. So sind zum Beispiel die meisten EU-Bürger ab 18 Jahren wahlberechtigt. In Österreich dürfen schon 16-Jährige an die Urne. In manchen Ländern wie zum Beispiel Belgien, Griechenland, Luxemburg und Zypern besteht Wahlpflicht. Wählbar sind Personen zwischen 18 (wie zum Beispiel in Deutschland) und 25 Jahren (Italien).
Gewählte Personen dürfen dem nationalen Parlament oder einer Regierung nicht angehören. Das Parlament ist so genannt «degressiv proportional» zusammengesetzt. Dies bedeutet, dass kleine Staaten überproportional im Parlament vertreten sind. So vertritt zum Beispiel ein deutscher EU-Parlamentarier 840‘000 Bürger, derjenige aus Malta nur 60‘000.
Rechtspopulisten und Euroskeptiker erstarken
Erwartet wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Sozialdemokraten und den Konservativen. Jüngsten Umfragen zufolge werden die Konservativen als Sieger aus der Wahl mit 217 Sitzen hervorgehen. Knapp dahinter würden sich mit 201 Mandaten die Sozialdemokraten platzieren.
Nicht zu unterschätzen sind die EU-kritischen Kräfte, welche praktisch in jedem EU-Staat Erfolge verbuchen. So werden dem französischen rechtsextremen «Front National» von Marine Le Pen und der niederländischen «Partei für die Freiheit» mit Geert Wilders grosse Chancen attestiert. In Grossbritannien könnte zudem Nigel Farages rechtspopulistische «United Kingdom Independence Party (UKIP)» bei der Europawahl triumphieren.
In Deutschland hoffen die Republikaner und die rechtsextreme NPD auf den Einzug ins Parlament in Strassburg. Vor allem aber die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) dürfte Erfolge verbuchen.
«Mächtige Quasselbude»
Soweit die Tatsachen – die diesjährige Europawahl ist aber gewissermassen auch eine kleine Premiere. Denn seit 2009 ist der Lissabon-Vertrag in Kraft. Dieser besagt, dass die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitglieder das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen müssen, wenn es um den Vorschlag für den neuen EU-Kommissionspräsidenten geht.
Damit wird das EU-Parlament zur «mächtigen Quasselbude», wie sich kürzlich der «Spiegel» geäussert hatte. Ein Sitz im Europaparlament bringt damit mehr Einfluss, als einer im nationalen Parlament. Mittlerweile müssen rund 90 Prozent aller EU-Vorhaben von den EU-Parlamentariern abgesegnet werden.
Aussichtsreichste Kandidaten für den Spitzenposten des EU-Kommissionspräsidenten sind der luxemburgische Ex-Premier Jean-Claude Juncker und der amtierende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz aus Deutschland. Juncker tritt für die Europäische Volkspartei an, Schulz für die Sozialdemokratische Partei Europas.
Spitzenkandidaten mit einem Handicap
Da die Wahlen aber nach nationalen Gesetzen stattfinden, prangt zum Beispiel auf deutschen Wahlplakaten das Porträt von Angela Merkel und nicht dasjenige von Juncker. Dies, obwohl die Bundeskanzlerin nichts mit den Europawahlen zu tun hat.
Dieses Manko versuchen die beiden Spitzenkandidaten mit einer Ochsentour rund um Europa wettzumachen. In verschiedenen TV-Duellen bringen Juncker und Schulz ihre besten Argumente an den Wähler zu bringen. Doch die Debatten bleiben langweilig und oberflächlich, was sich auch in den Quoten niederschlägt. So erreichte zum Beispiel das deutsche TV-Duell im ZDF einen Marktanteil von schlappen sechs Prozent.
Läuft alles nach Plan, erhält nach der Wahl der Spitzenkandidat, dessen Partei am besten abgeschnitten hat, die Unterstützung der 28 EU-Staats- und Regierungschefs. Das neue Parlament würde daraufhin diesen als Nachfolger von José Manuel Barroso bestätigen.
Vom Schatten an die Sonne?
Da jedoch das ganze Prozedere zum ersten Mal durchgeführt wird, kann es zu Verzögerungen kommen. Denn der künftige EU-Kommissionpräsident muss die Stimmen von mindestens 376 der 751 Abgeordneten erhalten. Auch Unstimmigkeiten im Europäischen Rat – dem Gremium der Staats- und Regierungschefs – über die Kandidatenauswahl kann das Ganze in die Länge ziehen. Die grosse Überraschung dieser Wahlen könnte sich somit erst Wochen später ereignen.
Lange Zeit führte das Europaparlament ein Schattendasein und in Politkreisen hiess es oft: «Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa.» Mittlerweile erhielten die Politiker in Strassburg ein weitgehendes Mitspracherecht. Der Posten verleiht mehr Macht. Nach den neusten Voraussetzungen wird sich nun zeigen, ob das EU-Parlament nach gut sechzig Jahren endlich im Zentrum der europäischen Macht angekommen ist. Eine Stimmbeteiligung von nur 43 Prozent wie bei den Wahlen 2009 würde sich aber negativ auswirken.