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Ukraine: Ehemaliger Präsident äussert sich zum Krieg
Aus Echo der Zeit vom 20.03.2024. Bild: SRF/Judith Huber
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Ex-Präsident der Ukraine Juschtschenko: «Für Putin hört Russland nirgendwo auf»

Vielen ist er wegen seines vernarbten Gesichtes ein Begriff, den Folgen eines Giftanschlags. Viktor Juschtschenko hat als ukrainischer Präsident von 2005 bis 2010 die Ukraine in Richtung Westen gesteuert. Vieles von dem, was die Ukraine heute erlebt, zeichnete sich damals schon ab. Juschtschenko ordnet anlässlich eines Treffens am Europainstitut an der Universität Zürich aber auch die aktuelle Lage in seiner Heimat ein.

Viktor Andrijovitsch Juschtschenko

Viktor Andrijovitsch Juschtschenko

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Viktor Andrijovitsch Juschtschenko war von Dezember 1999 bis Mai 2001 Ministerpräsident und von Januar 2005 bis Februar 2010 Präsident der Ukraine. Er kam am 23. Februar 1954 im ostukrainischen Choruschewka in der Oblast Sumy zur Welt.

SRF News: Die Lage an der Front ist schwierig, die Ukraine hat zu wenig Waffen und Soldaten. Was wird in den nächsten Monaten geschehen?

Viktor Juschtschenko: Es ist ein Kampf gewaltigen Ausmasses, kein anderes Land Europas stand in den letzten 80 Jahren vor einer vergleichbaren Aufgabe. Die Front ist 2000 Kilometer lang – auf der anderen Seite stehen 600'000 Soldaten und ein riesiges Arsenal an Waffen. 

Putin sagte 2008, die Ukraine sei kein souveräner Staat. Dieses Märchen hat er erfolgreich ins europäische Denken eingepflanzt. Es war sehr schmerzlich für mich als Präsident, das mitzuerleben.
Autor: Viktor Juschtschenko

Wir kämpfen nicht nur für unsere Freiheit. Putins Propaganda sagt, das Ziel sei, Berlin in 40 Tagen einzunehmen, Warschau in 30 und Kiew in drei Tagen. Und Putin sagt: Russland hört nirgendwo auf. Ganz Europa ist bedroht.

Es gibt also keine einfache Antwort auf diese Frage. Als Land haben wir aber bereits gewonnen, wir haben gezeigt, dass es in Europa eine Armee gibt, die dem russischen Bösen widerstehen kann.

Juschtschenko ist mit der Orangenen Revolution stark verbunden

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Legende: Viktor Juschtschenko während seiner Amtseinsetzung am 23. Januar 2005 in Kiew. Keystone/AP/EFREM LUKATSKY

Der heute 70-jährige Viktor Juschtschenko war die Galionsfigur der Orangen Revolution. Es war im Jahr 2004, als eine Volksbewegung die Wiederholung der Stichwahl zwischen dem russlandfreundlichen Viktor Janukowitsch und dem Reformer Juschtschenko erkämpfte, weil sie Wahlbetrug monierte. Juschtschenko fiel im Wahlkampf einem Anschlag mit dem Gift Dioxin zum Opfer, den er nur knapp überlebte. Mit stark entstelltem Gesicht erkämpfte er sich den Wahlsieg. Während seiner Amtszeit als Präsident von 2005 bis 2010 stärkte er die nationale ukrainische Identität und näherte das Land dem Westen an. In den letzten Jahren sanken seine Umfragewerte, er wurde als schwach und unentschlossen wahrgenommen. Trotzdem sind seine Verdienste unbestritten, ohne ihn wäre die Ukraine wohl ein anderes Land.

Wissen Sie inzwischen, wer im Jahr 2004 den Giftanschlag auf Sie verübt hat?

Ich weiss es. Aber es gibt eine laufende Untersuchung. Die Verantwortlichen befinden sich in Moskau. Sie werden vor Gericht gestellt werden. Aber erst, wenn Putin nicht mehr da ist. So lange müssen wir uns gedulden. Die Bevölkerung hat das Recht darauf, dass man all das gut dokumentiert.

Sind die Täter Ukrainer?

Zum Teil. Es sind Funktionäre. Bei den Auftraggebern aber muss man tiefer graben.

Wann haben Sie in Ihrer Zeit als Präsident, als Sie Ihr Land in Richtung EU führten, zum ersten Mal begriffen, dass Russland das nicht zulassen würde?

Es waren die dramatischen Stunden im Frühling 2008, als es um die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die Nato ging. Putin riet der Allianz, klug zu handeln und der Ukraine und Georgien keine Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen. Und in den Monaten zuvor sagte Putin, die Ukraine sei kein souveräner Staat. Dieses Märchen hat Putin erfolgreich ins europäische Denken eingepflanzt. Es war sehr schmerzlich für mich als Präsident, das mitzuerleben.

Viktor Juschtschenko.
Legende: Viktor Juschtschenko an einer Veranstaltung des Europainstituts an der Universität Zürich am 14.3.2024. SRF/Judith Huber

Erhielten Sie denn keine Unterstützung anderer Staaten?

Doch, mehrere Länder unterstützten uns. Aber wichtige Figuren wie die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierten in Sachen Nato-Mitgliedschaft ausweichend. Traurigerweise setzte Putin von da an auf das Militär. Wenige Monate, nachdem die Nato-Mitgliedschaft von Georgien und der Ukraine abgelehnt worden war, marschierten russische Soldaten in Georgien ein.

Das war die Putinisierung Europas.
Autor: Viktor Juschtschenko

Doch was taten die deutschen und französischen Unternehmen? Sie unterschrieben mit dem russischen Energiekonzern Gazprom den Vertrag über Nordstream 1. Und nachdem Putin seine Truppen 2014 auf die Krim und in den Donbass geschickt hatte, wurde Nordstream 2 vertraglich besiegelt. Das war die Putinisierung Europas.

Was meinen Sie damit?

Wer hat Putins Politik finanziert, die zu dem geführt hat, womit wir heute konfrontiert sind? Pro Jahr hat er aus Europa für Öl und Gas über 400 Milliarden Dollar erhalten. Solche Summen lassen Banditen den Verstand verlieren. Von daher rühren Putins Frechheit, sein Gefühl der Überlegenheit und seine Macho-Allüren. Und gegen die Folgen dieser Politik müssen wir nun in der Ukraine kämpfen. Aber nicht wir haben sie verursacht, es waren andere. Und auch Europa kommt das teuer zu stehen.

Gegen Ende Ihrer Präsidentschaft waren Ihre Umfragewerte schlecht, viele hatten das Vertrauen in Sie verloren. Haben Sie Fehler gemacht?

Die Ukraine ist nicht nur ein freies und demokratisches Land, sie ist auch eine Nation mit einer wechselhaften Geschichte: Sie war eine Kolonie von Litauen, von Österreich-Ungarn und auch von Russland. Es war damals schwierig für die Bevölkerung, sich darüber klar zu werden, wie man leben und welche Art von Sicherheit man will. Ich denke nicht, dass ich in dieser Hinsicht versagt habe. In der ukrainischen Gesellschaft wurde in den Jahren meiner Präsidentschaft die Vision einer Integration in die EU so stark, dass die Jungen im Jahr 2014 auf den Maidan gingen, um diese Zugehörigkeit zu Europa zu verteidigen. Es war nicht mehr möglich, das Land erneut in Richtung Osten auszurichten.

Die Politik Putins hat dazu geführt, dass sich unsere Wege trennen und dass das russische Imperium seine letzten Tage erlebt.
Autor: Viktor Juschtschenko

Unser Widerstand gegen Moskau gründet darauf, dass wir anders sind, dass wir eine andere Vorstellung von unserer Zukunft haben als Putin. Wir sind ein anderes Volk, mit einer anderen Geschichte – und wir haben unterschiedliche Ziele. Die Politik Putins hat dazu geführt, dass sich unsere Wege trennen und dass das russische Imperium seine letzten Tage erlebt.

Das Gespräch führte Judith Huber.

Echo der Zeit, 20.03.2024, 18:00 Uhr;

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