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Exit an der Downing Street Cummings' Abgang zementiert Bild von chaotischer Regierung

Er war der wichtigste und gleichzeitig der umstrittenste Mitarbeiter des britischen Premierministers. Dominic Cummings war der Chefstratege des Brexits und wurde später der wichtigste Berater von Boris Johnson. Für die einen ist Cummings ein politisches Genie. Andere haben ihn eher mit Rasputin verglichen. Der Chefberater des Premierministers hat sich um Traditionen oder Höflichkeiten foutiert.

Cummings ging in Downing Street, dem Regierungssitz der britischen Regierung, in Trainerhosen und T-Shirt ein und aus. So berühmt wie umstritten machte ihn ein 300 Kilometer-Familien-Ausflug in den Nordosten Englands mitten im Lockdown. Der Mann verachtete Beamte in Whitehall, ebenso Parlamentarier und Journalisten. Das machte ihn zu einer so gefürchteten wie umstrittenen Figur bis tief in die konservative Regierungspartei.

War am Schluss Cummings oder Johnson der Chef?

Gleichzeitig war Dominik Cummings der Mann, der den Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union für die Konservativen ohne Rücksicht auf Verluste vorantrieb. Boris Johnson punktet mit charismatischen Auftritten. Fakten und Details dagegen waren noch nie sein Ding. Die strategische Umsetzung seiner Politik überliess er Cummings.

Das hatte zur Folge, dass viele am Ende nicht mehr wussten, wer eigentlich der Chef ist. Eine wichtige Eigenschaft eines politischen Beraters ist jedoch, dass er im Hintergrund agiert und die Bühne – und insbesondere das Entscheiden – dem Chef überlässt. Diese Rollenverteilung war in Downing Street in den vergangenen Monaten für viele nicht mehr so klar ersichtlich. Dies führte zu Konflikten mit anderen Stabsmitarbeiterinnen, Chefbeamten aber ebenso Mitgliedern der Konservativen Fraktion im Parlament.

Jetzt hat der Premierminister offenbar ein Machtwort gesprochen. Auf Ende Jahr will Cummings Downing Street verlassen. Sein Abgang ist ein Verlust für die Leave-Fraktion, die eine kompromisslose Umsetzung des Brexit über alles andere stellt.

Der Zeitpunkt ist seltsam

Nun ist es nicht so, dass Boris Johnson ideologisch völlig an einem anderen Ort steht als Cummings. Das Ziel wird auch nach der Rochade das gleiche bleiben. Nur könnte sich vielleicht die Tonalität ändern oder der destruktive Druck auf die Verwaltung, Gewerkschaften, die BBC und andere Institutionen, für die Cummings nur Verachtung übrig hatte und diese mit allen Mitteln demontieren wollte.

Seltsam erscheint der Zeitpunkt der Rochade. Wir befinden uns im Endspiel der Brexit-Verhandlungen. In wenigen Tagen wird klar, ob sich Grossbritannien mit oder ohne Freihandelsabkommen von der EU verabschiedet. Die Ankündigung des Abgangs des Chefstrategen und politischen Sprengmeisters wird den Ausgang der Verhandlungen zwar nicht mehr gross beeinflussen, aber das Bild einer chaotischen Regierung zementieren.

Patrik Wülser

Grossbritannien-Korrespondent

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Patrik Wülser arbeitet seit Ende 2019 in London als Grossbritannien-Korrespondent für SRF. Wülser war von 2011 bis 2017 Afrika-Korrespondent und lebte mit seiner Familie in Nairobi. Danach war er Leiter der Auslandsredaktion von Radio SRF in Bern.

Rendez-vous, 13.11.20, 12.30 Uhr

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