Die verheerende Explosion im Hafen von Beirut im August hat praktisch jeden Laden, jedes Unternehmen in der libanesischen Hauptstadt beschädigt, beeinträchtigt oder gar zerstört: mitten in der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten und in der Coronakrise. Kurz vor Weihnachten geht es in Beirut nicht ums Weihnachtsgeschäft, sondern ums Überleben. So etwas wie Weihnachtsstimmung kommt trotzdem auf.
«Wir versuchen unser Bestes»
In der Innenstadt Beiruts spielt jemand auf einem Klavier Jingle Bells, vor wenig Publikum. Die lokale Non-Profit-Organisation Beirutetna hat Klein-Unternehmerinnen und -unternehmern der Stadt Stände und Ladenflächen zur Verfügung gestellt, damit sie in der Weihnachtszeit etwas verkaufen können. In einem dieser Läden wartet die junge Modedesignerin Lamia Nassif auf Kundschaft. Sie freut sich über diese Hilfe.
Wir sind verletzt und traurig und leiden unter so vielem – diese Initiative soll vor Weihnachten Leben in die Stadt zurückbringen!
Bei soviel Zerstörung und der Corona-Gefahr ist das nicht einfach. Immerhin ein paar Kleidungsstücke hat Lamia Nassif schon verkaufen können. Aber daran verdient hat sie nichts. Die Wirtschaftskrise hat zur dramatischen Entwertung der Landeswährung geführt – die Modedesignerin bezahlt jetzt 4 bis 5 Mal mehr für einen Meter Stoff als vor einem Jahr. «Es ist Wahnsinn – wir bezahlen alles aus der eigenen Tasche.»
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Bild 1 von 6. Auf einer grossen Kerze (links) stehen die Namen der über 200 Todesopfer der Explosionskatastrophe vom 4. August. Bildquelle: SRF / Susanne Brunner.
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Bild 2 von 6. Trotz Corona, Wirtschaftskrise und Zehntausenden von zerstörten Gebäuden in der libanesischen Hauptstadt Beirut: Der Samichlaus ist da. Bildquelle: SRF / Susanne Brunner.
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Bild 3 von 6. Mit einem Weihnachtsmarkt und einem Musikfestival von der lokalen Non-Profit-Organisation Beirutetna im Aschrafie-Quartier von Beirut soll Weihnachtsstimmung aufkommen. Bildquelle: SRF / Susanne Brunner.
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Bild 4 von 6. Das Souks-Geschäftsviertel in der Innenstadt Beiruts: viele Geschäfte mussten schliessen oder wurden von der Explosion am 4. August im Hafen von Beirut zerstört. Wegen der Wirtschaftskrise und Corona läuft das Weihnachtsgeschäft schlecht. Bildquelle: SRF / Susanne Brunner.
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Bild 5 von 6. Die Informatikerin Lamia Nassif wurde 2019 Modedesignerin. Die Wirtschaftskrise hat zur drastischen Abwertung der Landeswährung geführt. Nun bezahlt sie fünfmal mehr für einen Meter Stoff als vor einem Jahr. Wenn sie etwas verkaufen kann, verdient sie fast nichts. Bildquelle: SRF / Susanne Brunner.
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Bild 6 von 6. Beirutetna stellt lokalen Kleinunternehmerinnen und -unternehmern vor Weihnachten Stände und Ladenflächen zur Verfügung, damit sie ihre Produkte verkaufen können. Bildquelle: SRF / Susanne Brunner.
Die Modemacherinnen und -macher in Beirut senken die Preise und verzichten auf Profit, damit sich die Leute, die wie sie unter der Wirtschaftskrise leiden, ihre Kleider leisten können. «Wir versuchen unser Bestes, mit den Mitteln ums Überleben zu kämpfen, die wir haben,» sagt die junge Modedesignerin Lamia Nassif.
Wir Libanesen wollen leben!
Im christlichen Ashrafie-Quartier versucht ein kleiner Weihnachtsmarkt Stimmung zu machen und gleichzeitig der Trauer in der Stadt gerecht zu werden: neben einem üppig geschmückten Weihnachtsbaum steht eine grosse Kunststoff-Kerze, auf der die Namen der über 200 Menschen geschrieben sind, die in der Explosion vom 4. August umgekommen sind.
Auch hier ist die Non-Profit-Organisation und Kulturplatform Beirutetna aktiv: Bis Ende Dezember organisiert sie hier ein Openair-Musik-Festival unter Beachtung aller Coronamassnahmen. Die junge Muslimin Masha ist extra aus dem Süden Libanons angereist, weil sie um ihre zerstörte Hauptstadt geweint habe und in all dieser Misere etwas Schönes sehen wolle. Als 14-Jährige hat sie den Libanonkrieg überlebt, von dem der von der radikalen Hisbollah-Miliz kontrollierte Süden besonders betroffen war.
«Wir Libanesen wollen leben. Wir haben in diesem Land schon genug gelitten,» sagt die 28-Jährige. «Dieser Ort gibt uns den Glauben, dass wir einmal ein besseres Leben haben werden,» sagt Masha.