SRF News: Vor einem Jahr trat das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft. Die Türkei nimmt seither Migranten zurück, die via Griechenland nach Europa reisen. Was hat das Abkommen gebracht?
Rodothea Seralidou: Einerseits kommen weitaus weniger Menschen auf den griechischen Inseln an. Es sind nicht mehr Tausende pro Tag wie vor dem Abkommen. Andererseits dürfen diejenigen, die ankommen, nicht weiterreisen. Sie müssen auf den Inseln bleiben, bis ihr Asylantrag bearbeitet wurde. Das kann mehrere Monate oder ein bis zwei Jahre dauern. So lange stecken sie fest.
Seit dem Abschluss des Abkommens sind weniger als 900 Menschen zurückgeführt worden.
Wieso dauert die Bearbeitung der Asylanträge so lange?
Die griechische Asylbehörde war einfach nicht auf diese Flut an Anträgen vorbereitet. 2016 wurden dreimal so viele Asylanträge eingereicht wie im Jahr davor. Rund 16'000 Anträge waren es allein auf den Inseln. Das Asylsystem ist quasi zusammengebrochen. Auch von den angekündigten 400 Asylexperten aus anderen EU-Ländern sind bisher nur 60 eingetroffen. Mittlerweile hat zwar die griechische Asylbehörde mit Hilfe von EU-Geldern mehr Personal eingestellt. Von ungefähr 150 Mitarbeitern im letzten Jahr ist sie auf über 600 gewachsen. Die Chefin der Asylbehörde sagte, sie gehe davon aus, dass es nun schneller gehe.
Das Abkommen sieht die Rückweisung von abgewiesenen Asylbewerbern in die Türkei vor. Für jeden Rückkehrer schickt die Türkei einen syrischen Flüchtling in die EU. Funktioniert das?
Nein. Von den rund 16'000 Menschen, die nach Abschluss des Abkommens zwischen der EU und der Türkei nach Griechenland gekommen sind, sind bisher weniger als 900 zurückgeführt worden. Unter ihnen waren kaum Syrer. Das liegt vor allem daran, dass griechische Asylkommissionen bei jedem Antrag einzeln prüfen, ob die Türkei ein sicherer Drittstaat ist. Ist sie es nicht, darf der Flüchtling nicht zurückgeschickt werden. Jene, deren Antrag abgelehnt wurde, gehen meist in Berufung. Die EU schätzt, dass es bald schneller gehen wird und mehr Anträge auch in zweiter Instanz abgelehnt werden. Doch all das dauert.
Wieso muss bei jedem Fall einzeln geprüft werden, ob die Türkei ein sicherer Drittstaat ist?
Das griechische Asylrecht sieht das so vor. Griechenland hat bis jetzt kein Land pauschal als sicheren Drittstaat anerkannt. Auch die Türkei nicht. Im Moment stehen zwei Fälle vor dem obersten Verwaltungsgericht. Es prüft, ob die Türkei für diese zwei Antragssteller ein sicherer Drittstaat ist. Diese Urteile sollen wegweisend sein in der Frage, ob Flüchtlinge in die Türkei abgeschoben werden dürfen oder nicht.
Griechenland hat bis jetzt kein Land pauschal als sicheren Drittstaat anerkannt.
Der türkische Präsident Erdogan droht immer wieder damit, den Pakt zu brechen. Haben die Griechen Angst davor?
Ja, gerade auf den Inseln machen sich viele Menschen Sorgen. Die Situation hat sich zwar einigermassen normalisiert. Im Moment kommen nicht mehr so viele neue Flüchtlinge an. Aber das könnte sich jederzeit ändern. Im Moment hält die Türkei das Abkommen zwar ein. Es ist aber fraglich, wie lange das so bleibt.
Das Gespräch führte Romana Costa.