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Forschung Horizon Europe EU stellt Briten ein Milliarden-Zückerchen in Aussicht

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen behält ein Milliarden-Pfand in der Hand: EU-Forschungsgelder gegen ein schnelles Ende im Streit um den Sonderstatus von Nordirland. Und die Schweiz hätte das Nachsehen.

Was ist Grossbritannien versprochen worden? Es klingt nach Zuckerbrot und Peitsche, was EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Aussicht stellt, als sie zusammen mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak Ende Februar in Windsor vor die Medien tritt, um die Einigung im Streit um den Sonderstatus Nordirlands zu verkünden: Britische Universitäten und Unternehmen sollen umgehend am EU-Forschungsprogramm Horizon Europe teilnehmen können, welches bis Ende 2027 läuft und mit rund 95 Milliarden Euro dotiert ist. So viel zum Zuckerbrot.

Und nun zur Peitsche: Die Einigung – Windsor Rahmenabkommen genannt – muss umgehend im britischen Parlament verabschiedet werden. Der Kompromiss sieht vor: Nordirland bleibt im Binnenmarkt; die Warenkontrollen zwischen Grossbritannien und Nordirland werden nur teilweise und nicht ganz abgeschafft; der EU-Gerichtshof behält das letzte Wort. Im Gegenzug bekommt die irische Versammlung mehr Mitspracherechte bei neuen EU-Regeln und kann die Notbremse ziehen.

Wo klemmt es bisher? Britisch-treue Unionisten in Nordirland fordern, dass auch Nordirland den Brexit vollzieht; nicht mehr dem Binnenmarkt angehört; dass die Warenkontrollen in der Irischen See vollständig aufgehoben werden und dass EU-Recht in Nordirland nicht mehr gilt. Die EU gesteht im Windsor-Abkommen zu, die für Nordirland bestimmten Waren und medizinischen Güter künftig durchzuwinken. Aufwändige und teure Deklarationen würden entfallen. Davon würden nordirische Konsumenten, Patientinnen und Unternehmen stark profitieren.

Noch ist offen, ob die unionistischen Parteien von ihrer Maximalforderung abrücken und den Windsor-Kompromiss akzeptieren werden. Doch die Zeit drängt: Eingabefrist für EU-Fördergelder ist Ende März 2023.

Warum wollen die britischen Universitäten unbedingt bei «Horizon Europe» mitmachen? Es lockt das grosse Geld. «Horizon Europe» verfügt über ein Budget von rund 95 Milliarden Euro – ein Vielfaches davon, was der britische Staat für Forschung und Innovation bereitstellen kann. Im Vorgängerprogramm «Horizon 2020» hat Grossbritannien rund acht Milliarden Euro aus Brüssel erhalten – am zweitmeisten von allen Ländern. Doch das war vor dem Brexit.

Im Brexitvertrag ist Ende 2020 vereinbart worden, dass das Vereinigte Königreich auch nach dem Austritt aus der EU gemeinsam mit europäischen Partner-Organisationen Fördergelder für Forschungsprojekte beantragen kann. Doch die EU lässt sich Zeit – mit dem Abschluss des dafür nötigen Assoziationsabkommens, weil Grossbritannien für Nordirland Nachverhandlungen des Brexitvertrages einfordert.

Was ist «Horizon Europe»? Es ist das weltweit grösste Förderprogramm. So will die EU-Kommission Wissenschaft, Forschung und Industrie über die Landesgrenzen zur Zusammenarbeit ermuntern. Mit den 95 Milliarden Euro sollen innovative Ansätze gefunden werden. Im Kampf gegen den Klimawandel, bei der Energiewende, bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Verwaltung, für Gesundheit, Ernährung und nachhaltige Entwicklung.

Ist die Schweiz auch am Forschungsprogramm der EU beteiligt? Nein. Der Schweiz geht es wie Grossbritannien: Die EU-Kommission benützt die Forschungszusammenarbeit als Zuckerbrot und Peitsche. Als der Bundesrat Ende Mai 2021 die Verhandlungen mit der EU über ein Institutionelles Rahmenabkommen abbricht, geht gar nichts mehr. Die Assoziierung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm wird ausgesetzt.

Seither sucht die Schweiz nach Alternativen – und hat im November 2022 mit Grossbritannien eine Absichtserklärung unterzeichnet, in Wissenschaft und Forschung enger zusammenzuarbeiten. Doch sollte Grossbritannien beim EU-Programm wieder mitmachen können, wäre die Schweiz als Forschungspartnerin bestenfalls noch zweite Wahl. Kleiner Lichtblick: Die EU will offenbar auch die Schweiz am Forschungsprogramm teilhaben lassen, sobald neue Verhandlungen über einen Rahmenvertrag beginnen. In bester Zuckerbrot-Manier.

Tageschau, 15.03.2023, 19:30 Uhr

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