«Ich bin der erste Kanzler mit eigenen Kindern seit 1998. Und das prägt auch mein politisches Arbeiten», sagte Friedrich Merz kürzlich im ARD-Talk «Caren Miosga». «Infam» und «Ausdruck eines gekränkten Männeregos» befand der Spiegel. Schliesslich sei seine Vorgängerin Angela Merkel Stiefmutter.
Kaum hatte sich die Aufregung gelegt, trat «Vater Merz» in Brandenburg vors Mikrofon – und sorgte erneut für Empörung. Thema diesmal: die Migration. Der Vorwurf seiner Kritikerinnen und Kritiker: Fremdenfeindlichkeit.
Im Stadtbild gebe es «noch dieses Problem», sagte der Kanzler so vage wie bedeutungsschwer. Merz’ nachfolgender Satz war klarer: Der Innenminister sei schon dabei, «in grossem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.»
Fragen Sie mal Ihre Tochter. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.
Eine Woche ist seither vergangen. Am Montag legte der Kanzler nach. Auf die Frage eines Journalisten, was er konkret gemeint habe, antwortete Merz: «Fragen Sie mal Ihre Tochter. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.»
Eine Entschuldigung, wie es Linke und Grüne in einem offenen Brief gefordert hatten, lehnte er ab.
Treffer, versenkt. So zumindest die Reaktion im konservativen Lager. «Dass illegale Migration das Erscheinungsbild unserer Städte verändert, entspricht dem normalen Empfinden vieler Menschen – und ich halte es auch für eine Tatsache», lässt sich Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) in der «Bild» zitieren.
CDU-Politiker Jens Spahn sekundiert: «Der Bundeskanzler hat etwas ausgesprochen, was jeder sieht, wenn er durch manche mittelgrosse deutsche Stadt geht.»
«Wir sind die Töchter!»: Demo vor CDU-Zentrale
Neben viel Zuspruch erntet Merz auch etwas Kritik aus der eigenen Partei. Dennis Radtke, der Chef des Sozialflügels der CDU, mahnt im Spiegel zu Verantwortungsbewusstsein. Denn ein Bundeskanzler sei «kein launiger Kommentator am Spielfeldrand.»
Deutlicher wird Grünen-Co-Chefin Franziska Brantner: «Merz stellt Millionen Deutsche unter Generalverdacht!» Gestern sprang die Wut auf die Strasse über: Vor der Parteizentrale der CDU in Berlin demonstrierten tausende Menschen. «Wir sind die Töchter, wir sind das Stadtbild!», riefen sie rauf zum Büro des Kanzlers.
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Bild 1 von 2. «Wir haben kein Stadtbild-Problem, wir haben ein Rassismus-Problem», war auf den Schildern zu lesen. Organisiert wurde die Demo vom Netzwerk «Zusammen gegen Rechts». Bildquelle: Getty Images/Anadolu/Halil Sarkaya.
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Bild 2 von 2. «Ich bin es gewohnt, das ökologische Klima vor Friedrich Merz in Sicherheit zu bringen», sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer in Berlin. «Und ich werde auch das gesellschaftliche Klima vor ihm in Sicherheit bringen.». Bildquelle: Keystone/EPA/Lilli Förter.
Mit seinen Äusserungen heizt Merz die Asyldebatte in Deutschland weiter an. Wer Abkühlung sucht, findet sie in der Regierungskoalition, denn dort fröstelt es. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf findet Merz’ Worte «schwer erträglich»: «Er vermengt Dinge, die nicht vermengt gehören.»
Die Integrationsbeauftragte der deutschen Regierung, Natalie Pawlik von der SPD, warnt vor «populistischen Schnellschüssen» und Stigmatisierung. «Das hilft den Falschen, statt Lösungen zu fördern.»
Ruhiger wird's nicht ...
Auch im deutschen Blätterwald rauscht es. Die «Süddeutsche Zeitung» geht in Stuttgart auf die Strasse und fragt die Menschen, ob sie sich noch sicher fühlen. Die «Bild» macht das gleiche in Hannover. Die Antworten der Passanten sind so unterschiedlich wie die Zeitungen und die beiden Städte.
Fest steht: Die «väterlichen» Worte des Kanzlers waren alles andere als versöhnlich. Oder wie es Stefan Reinhart, Deutschland-Kenner von SRF, ausdrückt: «Ruhiger wird’s nicht in Deutschland.»