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Fragen zum Corona-Virus «Wenn sich das Virus einnistet, haben wir eine neue Epidemie»

Rund um den Umgang und die Bekämpfung des Corona-Virus haben sich Experten aus der ganzen Welt in Genf an einer Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) getroffen. Einer von ihnen ist der Schweizer Virologe Laurent Kaiser.

Laurent Kaiser

Leiter des Labors und Abteilung für Infektionskrankheiten Universitätspital Genf

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Nach seinem Medizinstudium in Genf spezialisierte sich Laurent Kaiser auf Infektionskrankheiten und klinische Mikrobiologie. Er spezialisierte sich auf klinische Virologie an der Universität von Virginia in Charlottesville, USA. 2006 übernahm er die Leitung des Virologischen Labors am Universitätspital Genf (HUG). Seit 2013 ist er medizinischer Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten am HUG.

Warum ist das Treffen auch wichtig und nützlich für die Schweiz

Laurent Kaiser: Es ist essenziell für die Schweiz und alle, die bei der Bekämpfung des Corona-Virus mitarbeiten. Das gibt die einzigartige Gelegenheit, die wichtigsten und neusten Informationen von Experten zu erhalten. Die Schweiz ist derzeit nicht betroffen, aber es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass wir keine Coronavirus-Fälle haben werden.

Haben Sie aus dem Treffen bereits neue Erkenntnisse gewonnen?

Es gibt noch viele offene Fragen. Aber als Arzt habe ich schon viel erfahren über Komplikationen der Krankheit oder über mögliche Behandlungen. Im Bereich der Prävention wissen wir jetzt auch mehr, wie wir uns verhalten müssen im Kontakt mit Infizierten oder wie man die Umgebung reinigen muss.

Wir wissen nicht, ob sich das Virus auch überträgt durch Personen, die wir nicht erkennen, weil sie keine Symptome haben.

Was können Sie sagen zur Übertragbarkeit des Virus in Europa?

In Wuhan in China gab es möglicherweise Bedingungen, die die Ausbreitung der Krankheit begünstigt haben. Im Moment breitet sich das Virus in Europa tatsächlich nicht sehr effizient aus. Allerdings haben wir das Problem, dass wir nicht wissen, ob sich das Virus auch überträgt durch Personen, die wir nicht erkennen, weil sie kaum oder keine Symptome haben. Das heisst, wir müssen wachsam bleiben. Wenn sich das Virus schlecht ausbreitet, wenn das Wetter schöner wird, es bessere Luft gibt, könnte die Epidemie verschwinden. Aber das wissen wir nicht sicher.

Was sind für Sie die drängendsten Fragen zum Virus?

Das Wichtigste ist, dass jedes Spital und jede Arztpraxis vorbereitet ist, um Infizierte sofort erkennen zu können und damit die Weiterverbreitung des Virus zu verhindern. Wichtig ist auch zu wissen, ob das Virus auch leichte Krankheiten verursacht wie etwa eine leichte Grippe oder einen Schnupfen. Das sind Infektionen wie sie in der Schweiz im Winter häufig sind und auch übertragen werden, ohne dass wir es bemerkt haben. Denn wir können nicht jede Person mit einem Schnupfen auf das Virus überprüfen.

Wenn sich das Corona-Virus einnistet, werden wir eine neue Epidemie haben.

Wie kann man Symptome des Corona-Virus zum Beispiel von einer Grippe unterscheiden?

Im Moment haben wir da noch keine Lösung. Die vom Corona-Virus ausgelösten Symptome ähneln am Anfang sehr den bekannten Erkältungskrankheiten oder einer Grippe. Im Moment sind es nur Forschungsreisen nach China oder Kontakte mit bereits Infizierten, die uns Hinweise auf das Corona-Virus geben können. Derzeit gilt die Regel, dass man nur Personen, die aus China kommen und solche Symptome der Atemwege haben, testen und isolieren soll.

Wie ernst muss man das Virus nehmen? Herrscht derzeit eine Überreaktion?

Im Nachhinein ist man immer klüger. Ich möchte den Vergleich ziehen zu 2009 und der Schweinegrippe. Die Sterblichkeitsrate war zwar nicht sehr gross. Aber das Virus hat sich über den ganzen Planeten ausgebreitet und verursacht seit 10 Jahren Epidemien. Seither sind viele Menschen daran gestorben, vor allem ältere oder geschwächte Menschen. Wenn sich das Corona-Virus einnistet, werden wir eine neue Epidemie haben. Derzeit ist die Erkrankungs- und Sterberate, die wir aus gewissen Regionen in China kennen, deutlich höher als bei einer Grippe. Auch wenn die Sterberate zwischen 0.1 bis 2 Prozent derzeit vielleicht nicht so hoch scheint – wenn aber Tausende erkranken, haben wir ein wirkliches Problem.

Das Gespräch führte Mirjam Mathis.

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