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Frankreichs neuer Premier «Barnier und Macron haben nicht das beste persönliche Verhältnis»

Der frühere EU-Kommissar Michel Barnier soll in Frankreich eine neue Regierung bilden, als amtsältester Premier Frankreichs mit 73 Jahren. Bekannt wurde er vor allem als Brexit-Unterhändler der EU, war aber auch schon französischer Minister. Macron stehe nun tatsächlich mit dem Rücken zur Wand, schätzt Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Ronja Kempin

Expertin Stiftung für Wissenschaft und Politik

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Ronja Kempin ist seit 2003 Mitglied der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin. Sie ist Expertin für die deutsch-französischen Beziehungen auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik.

SRF News: Wer ist Michel Barnier?

Ronja Kempin: Das fragen sich wohl in diesen Minuten ganz viele Französinnen und Franzosen, denn Michel Barnier ist in Frankreich weitgehend unbekannt. Er blickt zwar auf eine lange politische Karriere zurück, hat aber einen Grossteil davon im Ausland absolviert. Dass die Wahl auf ihn gefallen ist, hängt wohl damit zusammen, dass ihm ein unglaubliches Geschick im Verhandeln nachgesagt wird. Er soll wenig arrogant sein, was ihn augenscheinlich von Präsident Emmanuel Macron unterscheidet. In Brüssel war er immer offen, mit Vertretern unterschiedlicher politischer Lager nach Kompromissen zu suchen. Genau das braucht es im Moment in Frankreich.

Wieso hat sich Macron für Barnier entschieden?

Macron stand nur wirklich mit dem Rücken zur Wand. Noch nie gab es eine derart lange Phase ohne handlungsfähige Regierung in Frankreich. Die aktuelle Regierung ist nur noch geschäftsführend. Die Zeit drängt, über die Fraktionsgrenzen hinaus eine tragfähige Regierung zu bilden. Verschiedene Persönlichkeiten, die Macron getestet hat, sind durchgefallen, denn sie wären ohnehin unverzüglich mit einem Misstrauensvotum belegt worden.

Wird Michel Barnier Macron auch nicht vor der Sonne stehen?

Interessanterweise haben Michel Barnier und Präsident Macron nicht das beste persönliche Verhältnis. Das wird immer wieder kolportiert. So hatte sich Barnier Hoffnung gemacht, Nachfolger von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu werden. Doch Macron unterstützte damals die deutsche Kandidatin Ursula von der Leyen. Barnier stand auch jetzt nicht ganz oben auf der Liste Macrons. Barnier wird es jetzt zwar mit einem geschwächten Präsidenten zu tun haben, der aber das Ruder nicht aus der Hand geben wird. Gleichzeitig muss er in der Nationalversammlung bestehen und die fehlenden Kompromisse aushandeln.

Was sind Barniers grösste Herausforderungen, um eine stabile Regierung aus unterschiedlichsten Parteien zusammenzustellen?

Es muss eine Regierung sein, die wohl weitestgehend überparteilich zusammengesetzt ist. Er muss versuchen, alle politischen Lager, die nach den Wahlen im Juli quasi gleich stark herausgekommen sind, in der Regierung zu repräsentieren. Das wird mit Blick auf die Kandidatinnen und Kandidaten der Grünen und der Sozialisten besonders schwierig. Denn sie hatten sich Hoffnungen gemacht, den Premier aus ihrem Lager stellen zu können und betrachteten die Wahlen für sich als gewonnen.

Das Gespräch führte Matthias Kündig.

Echo der Zeit, 05.09.2024, 18:00 Uhr ; 

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