Seit ein paar Wochen hat die Ukraine mit Wolodimir Selenskyj einen neuen Präsidenten. Er hat heute neue Friedensverhandlungen vorgeschlagen, um den schwelenden Konflikt in der Ostukraine zu lösen. In einer Videobotschaft bot Selenskyj dem russischen Präsidenten Wladimir Putin direkte Gespräche an. SRF-Korrespondent David Nauer erklärt, ob der Vorstoss reelle Chancen hat, etwas an der verfahrenen Situation im Konfliktgebiet zu ändern.
SRF News: Wird Putin die Einladung von Selenskyj für Friedensverhandlungen annehmen?
David Nauer: Der Kreml hat am Nachmittag gesagt, das Angebot werde geprüft. Ich vermute aber, dass es Putin am Ende eher nicht annehmen wird. Die Position des Kreml war in den letzten Jahren immer, dass es sich bei dem Konflikt um einen Bürgerkrieg zwischen Separatisten und der ukrainischen Armee handle. Die Russen taten also immer so, dass sie mit dem Konflikt gar nichts zu tun hätten – weswegen die Verhandlungen zwischen den Separatisten und der Zentralregierung stattfinden müssten und nicht zwischen Kiew und Moskau.
Bislang sassen bei Friedensverhandlungen zur Ostukraine jeweils auch Frankreich und Deutschland mit am Tisch. Selensky wünscht nun, dass die USA und Grossbritannien auch noch teilnehmen sollen. Warum?
Formal ist es ein Rückgriff auf das «Budapester Memorandum», einen internationalen Vertrag von 1994. Damals haben die USA, Grossbritannien und Russland der Ukraine die territoriale Unversehrtheit garantiert – im Austausch dafür, dass Kiew alle Atomwaffen abgab. Bekanntlich hat Russland diesen Vertrag 2014 gebrochen, als es die Krim annektierte.
Der Kreml wird kaum einwilligen, an solchen Verhandlungen teilzunehmen.
Die Ukrainer wollen nun quasi an den Budapester Prozess anknüpfen, weil dieser eben Garantien für das Land gab. Faktisch geht es sicher auch darum, dass sich die Ukraine von den USA in Verhandlungen mit den Russen mehr Durchsetzungskraft verspricht als von der EU.
Das würde wohl auch bedeuten, dass die Russen an diesen Verhandlungen nicht teilnehmen werden?
Der Kreml wird kaum einwilligen, an solchen Verhandlungen teilzunehmen. Man muss sich das bildlich vorstellen: Auf der einen Seite des Verhandlungstisches sässe Putin, auf der anderen die Amerikaner, die Briten, die Franzosen, die Deutschen und die Ukrainer. Das wäre schwer vorstellbar.
Aus dem Konfliktgebiet gab es dieser Tage erfreuliche Nachrichten. Bei der strategisch wichtigen Ortschaft Stanyzja Luhanska haben beide Seiten ihre Truppen vollständig zurückgezogen. Ist da die neue Politik eines neuen Präsidenten zu erkennen?
Eindeutig. Selenskyj hat einen anderen Zugang als sein Vorgänger Poroschenko, der sehr stark auf militärische Abwehr der Separatisten gesetzt hat. Selenskyj ist viel kompromissbereiter. Deswegen hat er auch diesen Rückzug der ukrainischen Truppen angeordnet, die Rebellen haben sich offenbar ebenfalls zurückgezogen. Selenskyj war es offenbar auch sehr wichtig, diesen Prozess dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, zu zeigen.
Das ist eine Politik, die die verfahrene Situation in der Ostukraine möglicherweise etwas aufbricht – sie birgt allerdings auch Risiken.
Die beiden sind am Sonntag dorthin gereist und haben die Situation vor Ort begutachtet. Selenskyj setzt sehr stark darauf, die Lebensbedingungen der Bevölkerung vor Ort zu verbessern. Damit das gelingt, ist auch bereit, Kompromisse zu machen und Teil der ukrainischen Truppen etwas zurückzuziehen. Das ist eine Politik, die die verfahrene Situation in der Ostukraine möglicherweise etwas aufbricht – sie birgt allerdings auch Risiken.