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Inga Rogg blickt auf die Proteste und deren Folgen zurück
Aus SRF 4 News aktuell vom 31.05.2018.
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Fünf Jahre Gezi-Proteste «Die Aktivisten haben sich ins Private zurückgezogen»

Vor fünf Jahren begannen im Gezi-Park in Istanbul Proteste, die sich auf das ganze Land ausdehnten. Die Grünanlage selbst wurde zu einer Art Protestlager. Wochen später wurde der Park von der Polizei mit Gewalt geräumt; die Bilder gingen um die Welt.

Heute wäre so etwas nicht mehr möglich, ist die Journalistin Inga Rogg in Istanbul überzeugt. Zu hart gehe Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen jedwelche Kritiker vor, die Leute seien völlig eingeschüchtert.

Inga Rogg

Inga Rogg

Journalistin

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Inga Rogg ist freie Journalistin in Jerusalem. Sie berichtete zunächst für die NZZ von 2003 bis 2012 aus Bagdad, dann bis 2019 aus Istanbul. Von 2019 bis 2023 war sie NZZ-Korrespondentin in Jerusalem. Seit Sommer 2023 arbeitet sie als freie Journalistin.

SRF News: Weiss man, was aus den tausenden Menschen geworden ist, die im Zuge der Räumung des Gezi-Parks vor fünf Jahren verhaftet wurden?

Inga Rogg: Die meisten von ihnen kamen später wieder frei. Doch in den letzten Jahren ist es zu neuen Verhaftungswellen gekommen, in denen auch damalige Gezi-Aktivisten verhaftet wurden. Viele von ihnen haben sich inzwischen ins Private zurückgezogen und äussern sich in den sozialen Medien kaum mehr kritisch über die Regierung.

Haben die Gezi-Proteste etwas bewirkt, wenn man die heutige Lage in der Türkei anschaut?

Sie haben dazu geführt, dass Präsident Erdogan seine Politik radikalisiert hat. Alles, was man sich mit den Gezi-Protesten erhofft hatte – demokratische Öffnung und Verbesserungen in der Türkei – ist nicht eingetreten, im Gegenteil.

Erdogan hat die Schraube angezogen – es gibt immer weniger Freiheit in der Türkei.

Daneben sind in der Zwischenzeit viele andere Dinge geschehen: Der Friedensprozess mit den Kurden wurde beendet, es gab Terroranschläge und einen Putschversuch. Das alles zusammen hat dazu geführt, dass Erdogan die Schraube angezogen hat. Demokratische Reformen blieben aus und es gibt immer weniger Freiheit in der Türkei.

Polizisten im Tränengasnebel bei Nacht.
Legende: Am 15. Juni 2013 wurde der Gezi-Park in Istanbul gewaltsam von der Polizei geräumt. Reuters Archiv

Haben die Gezi-Proteste von 2013 also sogar negative Auswirkungen gehabt, weil Erdogan dadurch zu einem härteren Vorgehen gegen die Opposition angetrieben wurde?

Die Affäre rund um Gezi war in der türkischen Politik sicher ein Wendepunkt. Negative Tendenzen, über welche sich die Bürger damals beklagt hatten und die zu den Gezi-Protesten führten, haben sich seither verschärft. Von Erdogans früherem Kurs, der auch demokratische Reformen beinhaltete, ist rein gar nichts übriggeblieben.

Die Leute sind eingeschüchtert und haben Angst. Die Frage ist bloss, wie lange das noch gut geht.

Vor fünf Jahren sprach man vom «Gezi-Geist». Ist in der türkischen Gesellschaft heute noch etwas von diesem Geist zu spüren?

In dieser Beziehung haben die Proteste von 2013 tatsächlich etwas bewirkt. Die Gesellschaft hat sich verändert. Auf der einen Seite gibt es zwar die extreme Polarisierung: 50 Prozent sind für Erdogan, gleich viele Türken sind gegen ihn. Doch der «Gezi-Geist» – Toleranz, Respekt, miteinander sprechen – findet man heute noch. So wäre es ohne Gezi 2013 kaum möglich, dass die politische Opposition derart geeint auftritt, wie sie das heute tut.

Erdogan sprichtin ein Mikrofon, hinter ihm ein rieisiges Porträt seiner selbst.
Legende: Seit 2013 hat er seinen Kurs massiv verschärft: Erdogan im aktuellen Wahlkampf. Imago

Gibt es noch zivilen Widerstand gegen die Regierung von Erdogan?

Es gibt immer wieder kleinere, lokale Proteste, grössere Protestaktionen kommen aber nicht mehr vor. Das liegt vor allem am Ausnahmezustand, der seit dem gescheiterten Putschversuch vor bald zwei Jahren gilt. Seither sind jegliche Proteste verboten. Wenn sich eine Menschenmenge versammelt, schreitet unverzüglich die Polizei ein. Der Gezi-Park ist heute abgeriegelt und bewacht, am zentralen Taksim-Platz stehen ein Militärfahrzeug und ein Polizeibus. Jeder Dissens wird unterdrückt, Menschen werden unter Terrorismusvorwürfen ins Gefängnis gesteckt, weil sie sich in sozialen Medien kritisch über Erdogan und seine Regierung äussern.

Eine Protestwelle wie vor fünf Jahren, die sich von Gezi aus übers ganze Land ausbreitete, wäre heute also nicht mehr möglich?

Derzeit nicht. Die Leute sind eingeschüchtert und haben Angst vor der Staatsmacht. Die Frage ist bloss, wie lange das noch gut geht.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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Währungskrise bringt Erdogan in Bedrängnis
Aus Tagesschau vom 03.06.2018.
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