«Suchen Sie Karl Marx?», fragt ein freundlicher Herr, der Moos von einem Grabstein schabt. Die meisten Besucherinnen und Besucher des Highgate Cemetery im Norden von London wollen zu Marx. Der Philosoph wurde 1883 hier begraben. Seither ist die Grabstätte ein Pilgerort für Altkommunisten aus aller Welt.
Highgate Cemetery ist der älteste Friedhof in London. Er wurde 1839 als gewinnorientiertes Unternehmen gegründet. Die stetig wachsende Metropole wusste nicht mehr, wohin mit ihren Toten. Highgate war die privatwirtschaftliche Lösung für ein öffentliches Problem.
Die Ruhestätte auf einer Anhöhe im Norden Londons erfreute sich bald grosser Beliebtheit. «Der schöne Ort versöhnt einen mit dem Tod», schrieb damals eine Zeitung. Wer Rang und Namen hatte, liess sich in Highgate bestatten. Der Andrang war so gross, dass es im Erdreich zu Dichtestress kam. Selbst unter den Gehwegen wurden die Toten begraben, notabene in mehreren Lagen.
Blühendes Leben im Garten des Todes
Heute ist Highgate ein funerales Sammelsurium von mehr als 50’000 Mausoleen, Obelisken und Gräbern, überwachsen von Flechten, Moos und Wurzeln. Das Leben hat den Garten des Todes längst zurückerobert. Zwischen schiefen Grabsteinen grüssen Füchse, Marder und Igel. Allein zwanzig Schmetterlingsarten sollen sich auf dem Friedhof niedergelassen haben.
Das ist ökologisch wertvoll, aber bringt keine Einnahmen für den Unterhalt der privaten Anlage. Deshalb werden neuerdings die Gebeine der verstorbenen Kundschaft kommerziell genutzt. Gegen Geld kann man sich neben Nobelpreisträgern, Dichterinnen und selbst Posträubern zur letzten Ruhe betten lassen. Das Topangebot ist jedoch Karl Marx. Neben dem weltberühmten Philosophen zu liegen, kostet 30’000 Franken.
Die Totenruhe ist neben dem Unruhestifter jedoch nicht unbedingt garantiert. Neben Kommunisten mit Nelken tauchten in den vergangenen Jahren gelegentlich auch Antikommunisten mit Bomben auf. Doch rein kapitalistisch betrachtet eine lukrative Investition angesichts der aktuellen Bodenpreise in London.
Discountbestattung für weniger Vermögende
Der Mann, der mit seinen antikapitalistischen Parolen Zunder für Revolutionen geliefert hat, würde sich wahrscheinlich im Grab umdrehen. Vor allem, wenn er wüsste, dass sich viele Werktätige dieser Welt in London nicht einmal mehr ein schlichtes Begräbnis mit Sarg, Blumen und tröstlichem Orgelspiel leisten können.
Mehr und mehr Leute entscheiden sich deshalb für ein «direct funeral», eine direkte Bestattung. Ein Discountangebot der lokalen Bestattungsbranche: Man wird nach dem letzten Atemzug abgeholt, ohne Abdankung industriell eingeäschert und wie ein toter Hamster in einer Büchse per Post an die Angehörigen zurückspediert.