In der Nacht vom 8. Oktober meldete der Betreiber der Pipeline Balticconnector einen plötzlichen Druckabfall an einer Gasleitung. Es geschah etwas mehr als ein Jahr nach den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines.
Estland, Finnland und Schweden sind sich sicher: Es war Fremdeinwirkung. Erste Untersuchungen hätten ergeben, dass die Betonröhre der Gaspipeline wohl von einem schweren Objekt seitlich aufgerissen wurde. Auch zwei Datenkabel, welche Finnland und Schweden mit Estland verbinden, wurden in Mitleidenschaft gezogen.
Die finnische Polizei liess später verlauten, man habe einen Anker eines chinesischen Frachters in der Nähe der Schadensstelle geborgen, und veröffentlichte Fotos. Auch passende Schleifspuren über mehrere Meter Länge wurden entdeckt.
Verteidigungsminister Antti Häkkänen sagt zur laufenden Untersuchung: «Wir können noch nicht sagen, wer dahintersteckt. Aber wir sind uns sicher, es war Fremdeinwirkung.»
Laut Schiffspositionsdaten der Firma Marine Traffic befanden sich zum Zeitpunkt des Geschehnisses zwei Schiffe in der Region. Das chinesische Containerschiff «New Polar Bear», dessen Anker die Behörden nun geborgen haben, und ein russischer Frachter.
Beide Staaten haben die Verantwortung für die Zwischenfälle zurückgewiesen. Das chinesische Aussenministerium fordert eine objektive Untersuchung. Man werde die Ermittlungen so weit wie möglich unterstützen, erklärt eine Sprecherin.
Johannes Peters, Experte für maritime Sicherheit an der Universität Kiel, schliesst im Moment sowohl ein Versehen als auch bewusste Sabotage nicht aus. Das Szenario, dass ein solcher Anker herunterfällt, mitgeschleift und erst nicht bemerkt werde, sei möglich und plausibel.
Man kann so etwas natürlich auch mit Intention machen und dann genau so etwas behaupten und sagen: Es war ein Unfall.
Aber er ergänzt zugleich: «Man kann so etwas natürlich auch mit Intention machen und dann genau so etwas behaupten und sagen: Es war ein Unfall.» Dies werde man jetzt – sofern man es kann – nachweisen müssen.
Weiterer Fall
Vor einer Woche dann meldete auch noch Schweden einen Vorfall in der Region – ein Telekommunikationskabel, das Estland mit Schweden verbindet, sei zur gleichen Zeit beschädigt worden wie die estnisch-lettische Gasleitung. Das Kabel sei beschädigt, aber der Datenaustausch funktioniere noch, erklärt der Verteidigungsminister.
Die Schäden seien zwar nicht gross genug, um die Länder in Bedrängnis zu bringen, erklärt der Experte. Ein Sabotageakt könne so jedoch bewusst Unsicherheiten schüren: «Unsere Energieinfrastruktur ist verwundbar, wir sind an einem neuralgischen Punkt angreifbar. Dieses Signal kann dadurch natürlich ausgesandt werden.»
In der flachen Ostsee verlaufen Hunderte von Kabeln und Pipelines nahe an der Wasseroberfläche. Sie können kaum geschützt werden.
Rund ein halbes Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sprudelt plötzlich Gas aus zwei Röhren der Nord-Stream-Leitungen – schnell wird klar: Das war ein Sprengstoff-Anschlag. Wer dahintersteckt, ist bis heute nicht abschliessend geklärt. Doch der Vorfall hat die Nachbarn Russlands an der Ostsee aufgeschreckt, wie der SRF-Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann erklärt:
«In der flachen Ostsee verlaufen Hunderte von Kabeln und Pipelines nahe an der Wasseroberfläche. Sie können kaum geschützt werden. Deshalb wächst nun die Unruhe in Skandinavien. Jede Störung und jeder Schaden werden zunächst einmal als möglicher Akt der hybriden Kriegsführung seitens Russlands betrachtet. Die Nato-Anrainer an der Ostsee müssen nun aufmerksamer werden und gleichzeitig einen kühlen Kopf behalten.»
Fahrlässigkeit oder Sabotage – sicher ist derzeit nur: Die Reparatur der Gasleitung wird Monate in Anspruch nehmen.