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Gasturbine für Russland Olaf Scholz und das komische Ding aus Stahl und Eisen

An diesem komischen Ding hängt nun also das Schicksal Deutschlands. Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland geht auf das Monstrum zu, als wäre es ein wildes, seltenes Tier im Zoo. Die Augen wandern ratlos über Stahlkörper, Knöpfe, Drähte, Leitungen, Öffnungen. Auch bei näherer Betrachtung wird nicht ganz klar, wo das Ding beginnt und wo es aufhört, wo oben ist und wo unten.

Guckt man in den Prospekt, dann lernt man: Es ist eine Gasturbine von Siemens Energy, Typ SGT-A65. Diese Turbine sorgt dafür, dass das russische Gas mit Hochdruck in die Pipeline Nordstream 1 gepumpt und damit Deutschland mit Gas versorgt wird. Wohnzimmer, Hochöfen, Schulhäuser, Eckkneipen. Von diesen Turbinen gibt es mehrere; jene, die Kanzler Scholz anguckt, ist ein Ersatzteil. Auch ohne sie könnte Russland 100 Prozent Gas liefern. Worum also geht es?

Posse statt Krimi

Von einem Krimi zu sprechen, wäre etwas übertrieben. Ein guter Krimi braucht Raffinesse, unerwartete Wendungen. Eine kleine Lovestory. Einen ausgeklügelten Plot. Dieses Stück hier aber ist eher eine Posse. Jeder Lektor würde ablehnen. Zu plump. Zu durchschaubar. Im Kern geht es darum: Russland führt Deutschland am Nasenring durch die Manege. Denn nicht nur Ingenieure oder Bundeskanzler sind imstande zu verstehen: Vor uns, in dieser Lagerhalle von Siemens Energy, steht eine in Kanada generalüberholte Turbine, welche bereit ist für den Weitertransport nach Russland.

Olaf Scholz vor der Gas-Turbine im Siemens-Werk.
Legende: Die Turbine des Anstosses: Olaf Scholz steht vor der in Kanada für die Erdgas-Pipeline Nordstream 1 gewarteten Turbine im Siemens-Werk in Mülheim an der Ruhr. Keystone/DPA/Bernd Thissen

Dort werden solche Geräte seit Jahren benutzt, vom Gas-Riesen Gazprom, um Gas nach Westen zu pumpen und viel Geld zu verdienen. Scholz sagt darum an der Pressekonferenz neben der Turbine: «Es ist gewissermassen klar und einfach: Die Turbine ist da, sie kann geliefert werden, es muss nur jemand sagen, ich möchte sie haben, dann ist sie ganz schnell da.» Schliesslich könne man sie nicht einfach «am Kai von St. Petersburg» abladen.

Kafkaeskes Schattenboxen

Russland hingegen sagt, es fehlten Papiere, denn schliesslich habe der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt und darum brauche es eine Ausnahmeregelung für den Import der Turbine in Russland. Gleichzeitig beteuern die EU und Deutschland und überhaupt alle Beteiligten: Nein, die Turbine fällt nicht unter die Sanktionen. Ihr könnt sie haben. Sofort.

Ein kafkaeskes Schattenboxen. Erpressung. Vergeltung für das Engagement Deutschlands für die Ukraine, welche einen Angriffskrieg Russlands erlebt – und mittendrin Olaf Scholz. Von diesem komischen Ding hier in der Halle, von diesem hässlichen Monstrum, hängt sein Schicksal ab, ein bisschen zumindest, und auch jenes der Regierung, ja ganz Deutschlands. Scholz muss das Ding liefern, das es gar nicht braucht und das Russland nicht will. Irre Tage im Leben eines Kanzlers.

Stefan Reinhart

Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Stefan Reinhart und Informationen zu seiner Person.

Tagesschau, 3.8.22, 18 Uhr

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