Abendservice im besten Restaurant der Welt, im «Central» in Lima, die Atmosphäre erinnert an ein japanisches Spa: statt weisser Tischtücher nackter Stein aus Perus Anden-Gebirgskette. Bescheidenheit und Naturverbundenheit als neuer Luxus. Was hier serviert wird, ist Essen und zugleich Kunst.
Das Menü: 14 Gänge, eine kulinarische Reise von der peruanischen Küste in den Amazonas, bis ins Hochgebirge der Anden. Kostenpunkt umgerechnet 385 Franken pro Person – das ist etwa ein durchschnittlicher Monatslohn in Peru.
Betrieben werden das «Central» und sein Schwestern-Restaurant «Kjolle» vom Spitzenkoch-Ehepaar Virgilio Martínez und Pia León. Sie wurde 2021 zur besten Köchin der Welt gekürt. «Die peruanische Küche ist Fusion. In Peru haben wir indigene Traditionen, Einflüsse aus Japan und China, koloniale Einflüsse aus Spanien, aus ganz Lateinamerika – einfach alles, was fein ist», sagt die 37-jährige Pia León.
Auf die Frage, inwiefern ihre Luxusküche in einem so ungleichen Land wie Peru ethisch überhaupt vertretbar sei, sagt León: «Die Ungleichheit in Peru ist gross und wir wollen unseren Teil beitragen, das zu ändern. Unsere Restaurants schaffen Arbeitsplätze. Wir arbeiten in der Region Cusco mit indigenen Gemeinschaften zusammen, auf über 4000 Metern Höhe. Sie kennen sich am besten aus mit den mehreren tausend Kartoffelsorten hier in Peru. Die Indigenen lehren uns ihre Traditionen und wir bieten Arbeit und Sichtbarkeit – es ist ein Geben und Nehmen.»
Frühstück der Fischer
Früher kamen die Touristen und Touristinnen nur für den Machu Picchu nach Peru – dank den Spitzen-Restaurants kommen sie heute auch zum Essen.
An Limas Häfen beispielsweise gibt es das typische Morgenessen der Fischer: Sandwiches mit frittiertem Pejerrey. Kleine Ährenfische, dazu ein paar Spritzer Limettensaft, fein geschnittene rote Zwiebeln und etwas Chili – zubereitet von keinem geringeren als Julius Cäsar.
«Ich heisse Julio César», erklärt der 42-jährige. Seine Mutter habe die beliebten Pejerrey-Brötchen erfunden, sagt er. «Und heute verkaufen alle diese Brötchen hier», sagt Julio sichtbar stolz. Seit 60 Jahren hat seine Familie am Strand von Lima einen kleinen Stand.
Das Arme-Leute-Essen
In Limas Chorrillos-Viertel verkauft die Mittvierzigerin Elisa auf dem Markt ein beliebtes Kartoffelgericht: die «causa peruana».
«Das ist Kartoffelpüree, das wir wie einen mehrlagigen Kuchen aufschichten: darin hat es Gemüse, Thunfischsalat oder Pouletragout. Ein Arme-Leute-Essen», erklärt Elisa.
Im 19. Jahrhundert sei das Gericht verkauft worden, um mit dem Erlös den Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien zu finanzieren – eben die peruanische Sache, oder die von Lima. Daher der Name «causa peruana» oder auch «causa limeña».
Das Nationalgericht
Ein paar Strassen weiter bereitet Koch Marcos gerade Bestellungen zu: einmal Ceviche – roher Fisch mit Limettensaft, Zwiebeln, Mais und Chili. Und einmal arroz con mariscos – Reis mit Meeresfrüchten.
Der Reis mit Meeresfrüchten ist ein Gericht auf halbem Weg zwischen cremigem Risotto und Paella. Es schmeckt wie vom Grill, leicht rauchig, und sei eine der beliebtesten Bestellungen, sagt Marcos. Er träumt davon, irgendwann auch ein Spitzen-Restaurant zu betreiben.