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Gedenken an Opfer von Berlin «Wir waren innerlich nicht auf einen Terrorakt eingestellt»

Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Kurt Beck, redet über die Verdrängung der Gefahr und Trauerarbeit.

SRF News: Sie waren heute bei dem Gedenkanlass für die Terroropfer in Berlin dabei. Wie wichtig war der Anlass für die Opfer und Hinterbliebenen?

Kurt Beck: Er war sehr wichtig. Gerade die Hinterbliebenen hatten den Eindruck, dass der Tod ihrer Angehörigen öffentlich nicht ausreichend gewürdigt wurde. Indem heute die Gedenkstätte der Öffentlichkeit übergeben wurde mit einem Gottesdienst und einer Gedenkveranstaltung im Abgeordnetenhaus von Berlin ist vieles aufgenommen und abgearbeitet worden.

Kanzlerin Merkel hat gestern zum erstem Mal mit den Opfern und Hinterbliebenen gesprochen, ein Jahr nach dem Anschlag. Warum so spät?

Merkel hatte das nicht zureichend eingeschätzt, wie sehr die Menschen Wert darauf legen, dass sie als Repräsentantin des Staates mit ihnen direkt Kontakt aufnimmt. Das ist jetzt gestern geschehen. Ich war mit dabei. Es waren sehr intensive Gespräche. Auch das hat sehr geholfen.

Merkel hatte unzureichend eingeschätzt, dass Menschen den direkten Kontakt zur Repräsentantin des Staates wünschen.
Autor: Kurt Beck

Man weiss, dass der Attentäter als Gefährder auf dem Radar der Behörden bekannt war. Kann der Staat überhaupt die richtigen Worte der Trauer finden?

Man muss sich einfach entschuldigen. Das hat die Kanzlerin im internen Gespräch getan. Das hat aber auch der regierende Bürgermeister von Berlin in der öffentlichen Gedenkveranstaltung getan. Ich habe es in meiner Rede auch getan. Wir alle haben bedauert, dass diese furchtbaren Fehler passiert sind.

Als Opferbeauftragter hatten Sie viel Kontakt mit Angehörigen. Was waren die grössten Probleme, mit denen diese Menschen konfrontiert waren?

Es waren bürokratische Hemmnisse, die so empfunden worden sind, weil die Antragslage für die materielle Unterstützung in Deutschland sehr kompliziert ist. Ich schlage deshalb vor, eine einzige Ansprechstelle zu schaffen, so dass die Angehörigen nicht selber von Stelle zu Stelle und Antrag zu Antrag geschickt werden.

Auch die Identifikation der Opfer nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Was lief da falsch?

Das ist formal alles richtig gelaufen. Weil Deutschland eine internationale Vereinbarung unterschrieben hat, wonach bei grossen Unfällen oder auch Terrorakten entweder ein Gen-Abgleich, ein Gebiss-Vergleich oder Fingerabdrücke die Grundlage für die Identifizierung sind. Das ist internationaler Standard. Ich werde jetzt aber dafür kämpfen, dass eine vorläufige Identifizierung möglich wird. Und zwar wenn Tote nicht im Gesicht entstellt sind und somit von Angehörigen erkannt werden können. Damit müssten Menschen künftig nicht mehr drei Tage lang vor der Gerichtsmedizin warten, um zu wissen, was mit ihren Angehörigen ist.

Werden ihre Forderungen auch nach höheren Entschädigungszahlungen gehört?

Ja. Mein Vortrag in der Kabinettssitzung endete damit, dass ein Auftrag an die versammelten Minister ging, meine Vorschläge positiv umzusetzen. Auch im Bundestag gibt es einen Antrag mit all meinen Vorschlägen, der hochkarätig von den Fraktionsvorsitzenden behandelt worden ist. Ich bin also mit Recht zuversichtlich, dass sich die Rechtslage und die organisatorische Lage zügig ändern. Die materiellen Hilfen kann man auch rückwirkend anheben.

Die materiellen Hilfen kann man auch rückwirkend anheben.
Autor: Kurt Beck

Neben der Anerkennung der Trauer durch den Staat – braucht Deutschland auch neue Trauerrituale?

Ich glaube, dass wir an vielen Stellen durchaus dazu fähig sind, auch als Gemeinschaft Trauer auszudrücken. Aber mein Eindruck ist: Wir waren innerlich nicht auf einen Terrorakt in Deutschland eingestellt. Man hat die Vorkommnisse in Frankreich, Brüssel und anderswo in der Welt beobachtet. Dabei ist innerlich verdrängt worden, dass es auch mitten in unserer Gesellschaft passieren könnte.

Wir waren innerlich nicht auf einen Terrorakt in Deutschland eingestellt.
Autor: Kurt Beck

Als es passiert war, haben die Rettungsdienste und die Polizei funktioniert. Nicht so, wie man sich um die Angehörigen kümmert, die teilweise mit dabei waren. Und wie man die Menschen vom ersten Tag an übernimmt und begleitet – bei Fragen von Trauerfeierlichkeiten, bei der Überführung von Toten bis hin zu Rentenleistungen an Verletzte. Das hatten wir in Deutschland nicht ausreichend auf dem Schirm, weil wir vor lauter Scheu, dass so etwas passieren könnte, die Dinge nicht zu Ende gedacht hatten.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

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