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Tankred Stöbe: «Die Banden in Haiti machen vor nichts halt»
Aus Tagesgespräch vom 21.03.2024. Bild: SRF
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Gefährliche Lage in Haiti «Haiti versinkt im Chaos der Anarchie»

Die Lage in Haiti spitzt sich zu, medizinische Hilfe wird knapp. Ein Notarzt berichtet aus seinem Alltag.

Auf den Strassen Haitis spielen sich derzeit brutale Szenen ab. Die Bandenkriminalität eskaliert, Regierung und Polizei scheinen keine Durchsetzungskraft mehr zu haben. Ohne Führung versinkt das Land im Chaos. Tankred Stöbe, Notarzt von «Ärzte ohne Grenzen», hat das mit eigenen Augen gesehen. Er erzählt von seinen Erfahrungen.

Tankred Stöbe

Tankred Stöbe

Notarzt bei Ärzte ohne Grenzen

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Tankred Stöbe ist Notarzt und Intensivmediziner in Berlin und arbeitet für die Hilfsorganisation «Ärzte ohne Grenzen». In 20 Jahren hat er über 30 Einsätze in Krisengebieten absolviert. Bis vor Kurzem war er in Haiti im Einsatz. Er hat weltweit zahlreiche Menschenleben gerettet und wurde dafür mit der höchsten Auszeichnung der deutschen Ärztekammer geehrt.

SRF News: Seit Tagen spitzt sich die Lage in Haiti zu. Wie erleben Sie persönlich die Situation vor Ort?

Tankred Stöbe: Es ist eine Katastrophe, die sich ankündigt. Die Unruhen nehmen täglich zu. Regierung und Polizei schaffen es nicht, durchzugreifen und für Sicherheit zu sorgen. Banden haben sich etabliert und die Kontrolle in Port-au-Prince übernommen. Zudem haben sich Bürgerwehren gebildet, die versuchen, den Banden etwas entgegenzusetzen. Es kommt zu einer Vielzahl von Lynchmorden, die keiner gesetzlichen Logik oder Gerechtigkeit folgen.

Sobald man auf der Strasse ist, läuft man Gefahr, in eine Schiesserei zwischen rivalisierenden Banden zu geraten.

Wie sieht Ihr ärztlicher Alltag aus?

Unsere Unterkünfte befinden sich in der Nähe der Kliniken, sodass wir nicht allzu weit fahren müssen. So können wir arbeiten, auch wenn die Sicherheitslage immer schlechter wird. Denn in Haiti ist es im Moment sehr gefährlich, unterwegs zu sein. Sobald man auf der Strasse ist, läuft man Gefahr, in eine Schiesserei zwischen rivalisierenden Banden zu geraten. In der Klinik sind wir einigermassen sicher, aber das bedeutet in der Konsequenz, dass viele von uns tagelang die Klinik nicht verlassen.

Ein Polizist mit Maschinengewehr sitzt in einem Auto
Legende: Die Polizei kann die Bandengewalt in Haiti nicht mehr eindämmen. Keystone/MENTOR DAVID LORENS

Haben Sie Zeit, mit den Menschen zu sprechen, die Sie behandeln?

Wir haben die Zeit und ich versuche sie zu nutzen, um die Situation und das Schicksal der Menschen besser zu verstehen. Einerseits erzählen uns die Menschen von ihrem Leid und ihrem Schicksal. Andererseits interessiert mich als Arzt auch immer, wie es zu den Verletzungen gekommen ist. Dabei stellen wir fest, dass die Menschen uns nur sehr zurückhaltend oder gar nicht Auskunft geben. Die Angst vor Übergriffen durch Banden ist gross. Vor allem für Frauen ist es gefährlich geworden. Die sexuelle Gewalt gegen Frauen hat Ausmasse erreicht, wie wir sie in Haiti noch nie erlebt haben.

Es gibt keine Polizei, die hilft, keine Armee, es gibt überhaupt keine Strukturen mehr.

Ist der Staat nicht in der Lage, für Ordnung und Sicherheit zu sorgen?

Haiti ist ein Land, das im Chaos der Anarchie versinkt. Die Menschen können sich auf nichts mehr verlassen. Es gibt keine Polizei, die hilft, keine Armee, es gibt überhaupt keine Strukturen mehr. Jetzt ist auch noch der Flughafen geschlossen, der Hafen auch. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Fast alles in Haiti muss importiert werden, es gibt fast keine Binnenwirtschaft mehr. Die Arbeitslosigkeit in Haiti ist hoch und steigt, weil sich die Menschen nicht mehr auf die Strasse trauen.

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Befürchten Sie, dass keine medizinische Hilfe mehr nach Haiti kommt?

Das macht mir grosse Sorgen. Seit Monaten drängten wir die Zollbehörden, die Medikamente freizugeben. Es ist uns gelungen, aber es war ein schwieriges Unterfangen. Wir hören aber auch, dass Container anderer Organisationen aufgebrochen und der Inhalt gestohlen wurde. Im Moment versuchen wir, unsere Hilfe in Haiti aufrechtzuerhalten. Denn unsere Hilfe wird gebraucht, und sie einzustellen, wäre für uns im Moment undenkbar.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic. (Mitarbeit: Géraldine Jäggi)

Tagesgespräch voim 21.03.2024, 13 Uhr;

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