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Gefährliche Mittelmeerroute Das Sterben auf hoher See geht weiter

Corona erschwerte das Reisen auch für Flüchtlinge und Migranten. Nun wagen sich wieder mehr Menschen aufs Mittelmeer.

Das Mittelmeer gilt als gefährlichste Flüchtlingsroute der Welt. Trotzdem stechen täglich Boote in See, oft veraltet und untauglich, mit hunderten Menschen an Bord. Allein am Wochenende sind über 1000 Migrantinnen und Migranten in Italien angekommen.

Insgesamt hat das Innenministerium im Rom seit Anfang Jahr 34'000 Ankömmlinge registriert. Täglich retten Behörden und Hilfsorganisationen derzeit Menschen, viele aber überleben die Reise übers Meer nicht. Schätzungen zufolge kamen seit Jahresbeginn fast 1000 Personen ums Leben oder sind spurlos verschwunden.

Die Zahlen erwecken den Eindruck, als würden derzeit besonders viele Menschen die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer wagen. Doch Anja Klug, Leiterin des Büros für die Schweiz und Liechtenstein beim UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, relativiert: «Im längeren Mittel sind die Zahlen dieses Jahr nicht dramatisch hoch.»

Weniger Übertritte während Corona

Gegenüber 2021 und 2020 ist zwar tatsächlich ein Anstieg der Zahlen zu verzeichnen. Aufgrund der Corona-Pandemie war das Reisen aber für alle erschwert – so auch für Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten, die aus ihren Herkunftsländern nur schwer an die nordafrikanische Küste gelangen konnten.

«Wegen der vielerorts geschlossenen Grenzen waren die Zahlen in den letzten zwei Jahren sogar aussergewöhnlich niedrig», erklärt Klug.

Registration von Flüchtlingen auf Sizilien, 24. Juli
Legende: Die italienische Küstenwache hat allein am letzten Samstag fast 700 Migranten aus dem Mittelmeer gerettet, einige von ihnen direkt aus dem Wasser. Auf einem Fischerboot seien auch fünf Leichen gefunden worden, teilte die Küstenwache mit. Keystone

Bei den Menschen, die versuchen übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen, handelt es sich zum einen um Flüchtlinge aus Ländern wie Eritrea oder auch Syrien, dem Iran, Irak oder auch Afghanistan.

«Es gibt aber auch viele Menschen aus nordafrikanischen Ländern wie Tunesien oder Ägypten, die auch in die Schweiz kommen», so die UNHCR-Beauftragte. «Bei ihnen handelt es sich meist nicht um Flüchtlinge, sondern um Migranten. Sie kommen in der Regel aus wirtschaftlichen Gründen.»

Seenotrettung am 29. Mai vor der italienischen Küste.
Legende: Im Sommer herrscht auf dem Mittelmeer Hochbetrieb, Yachten und Segelboote tummeln sich dort zuhauf. Dies erschwert es der Küstenwache und privaten Seenotrettern, Flüchtlingsboote auszumachen. Im Bild: Seenotrettung am 29. Mai vor der italienischen Küste. Keystone

Bei der Verteilung der Flüchtlinge und Migranten gibt es offenkundig noch immer Probleme. Vor ein paar Wochen machte das komplett überfüllte und vermüllte Flüchtlingscamp auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa Schlagzeilen: In dem Flüchtlings-Hotspot waren Anfang Juli gut 1800 Menschen gezählt worden – dabei hat es in dem Camp eigentlich nur für rund 350 Leute Platz.

Das Mittelmeer-Büro der UNO-Organisation für Migration (IOM) twitterte von einer «Schande auf Lampedusa». Lampedusas Ex-Bürgermeisterin Giusi Nicolini zeigte auf den sozialen Medien Bilder von unhaltbaren Zuständen:

Der Krieg in der Ukraine mit seiner Flüchtlingsbewegung nach Mittel- und Westeuropa überlagert derzeit die «traditionelle» Flüchtlingsroute übers Mittelmeer nach Europa. Insbesondere Behörden und Staaten der ans Mittelmeer angrenzenden Länder hätten die Situation aber jederzeit im Blick, versichert die UNHCR-Mitarbeiterin.

Wir wünschen uns, dass nicht mehr so viele Menschen vor den Toren Europas ums Leben zu kommen.
Autor: Anja Klug UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR

Nichtsdestotrotz: Seit vielen Jahren riskieren Menschen ihr Leben, um übers Mittelmeer nach Europa zu kommen. Immer wieder sterben Dutzende Menschen bei Bootsunglücken. Klug gibt unumwunden zu, dass sich manchmal auch Ohnmacht breit macht. «Wir wünschen uns, dass nicht mehr so viele Menschen vor den Toren Europas ums Leben zu kommen.»

Das UNHCR versuche gemeinsam mit anderen Akteuren, den in Seenot geratenen Menschen zu helfen, schliesst Klug. Es gelte aber auch, bei den Fluchtursachen anzusetzen – und die Situation in den Herkunftsländern der Migranten und Flüchtlinge zu verbessern.

Rendez-vous, 26.07.2022, 12:30 Uhr ; 

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