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Wie Regimes Sportler an Wettkämpfen überwachen
Aus News Plus vom 19.10.2022. Bild: SRF
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Geheimdienst ist mit dabei Sportler werden von totalitären Regimes konsequent überwacht

Der Sport-Experte Jens Weinreich hat Stasi-Dokumente ausgewertet. Er weiss, was Iran, China und Co. noch heute tun.

Das Beispiel der iranischen Kletterin Elnaz Rekabi ist bei weitem nicht der einzige Fall von Sportlerinnen oder Sportlern aus totalitären Regimen, die an internationalen Wettbewerben überwacht werden.

Oftmals seien dafür sogar die Geheimdienste ihrer Heimatländer im Einsatz, sagt der Experte und Journalist Jens Weinreich. Er befasst sich seit 30 Jahren intensiv mit sportpolitischen Fragen wie Doping, Korruption, Sportpolitik oder Verbrechen im Sport.

Der Fall der Iranerin Elnaz Rekabi

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Legende: Keystone

Irans Klettermeisterin Elnaz Rekabi hatte im Final der Asienmeisterschaft in Seoul das für iranische Sportlerinnen obligatorische Kopftuch abgenommen. Iranische Medien reagierten mit Empörung auf den Vorfall. In den sozialen Medien jedoch wurde die Sportlerin von den Iranern gefeiert. «Wir sind stolz auf dich», hiess es in einer der zahlreichen Reaktionen auf Twitter.


Die iranische Delegation reiste unmittelbar nach dem Vorfall ab, Beobachter äusserten die Befürchtung. Rekabi könnte in Iran ins Gefängnis gesteckt werden. Inzwischen meldete sich die Sportlerin jedoch mit praktisch gleichlautenden Mitteilungen in sozialen sowie iranischen Medien: Sie habe das Kopftuch unabsichtlich weggelassen und entschuldige sich dafür. Westliche Beobachter gehen davon aus, dass Rekabi von iranischen Funktionären zu ihrer Aussage gezwungen wurde.

«Es liegt in der Natur der Sache, dass Regime den Sport für sich nutzen wollen und die Sportler unter Druck setzen», sagt er. Deshalb sei es nur allzu logisch, dass der iranische Geheimdienst im Fall von Rekabi seine Finger im Spiel habe.

Was früher die DDR ist heute China

Man kenne das auch von anderen Nationen wie China oder früher der DDR und der Sowjetunion. Oftmals hätten die Sportfunktionäre dieser Länder Doppelrollen: «In Wirklichkeit sind sie Offiziere oder inoffizielle Mitarbeiter der Geheimdienste», so Weinreich.

Sportfunktionäre dieser Länder sind in Wirklichkeit Offiziere oder inoffizielle Mitarbeiter der Geheimdienste.
Autor: Jens Weinreich Sportexperte und Autor

Nach der deutschen Wende und dem Zusammenbruch der Sowjetunion seien «unfassbare Mengen an Dokumenten» ans Tageslicht gelangt, welche die Verwicklung von Geheimdiensten und Sport in totalitären Regimen einwandfrei bewiesen. Dabei hätten die Schlapphüte vor allem drei Aufgaben, sagt der Experte.

«Der Geheimdienst soll Fluchtversuche von Sportlern vereiteln, die Geheimhaltung von Vorgängen im eigenen Sportsystem wie Doping sichern sowie beim Ausspionieren des internationalen Sports – wie Trainingspläne oder Ausrüstung – mithelfen.» Das hätten die Stasi-Dokumente gezeigt.

Mindestens ein Spion pro Delegation

Ähnliches wie damals passiere in Ländern wie China, Saudi-Arabien oder Iran heute noch. Das wisse man unter anderem dank Whistleblowern.

«Im Fall der DDR gehörte jeder kleineren Sportler-Delegation mindestens ein Stasi-Mitarbeiter an», sagt Weinreich. So ähnlich habe Iran wohl beim vorliegenden Fall der Kletterer-Delegation an den Asienmeisterschaften in Seoul verfahren.

Chinesen am eigenen Leib erlebt

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Legende: Reuters

Im Jahr 2015 hat Weinreich selbst erlebt, wie Geheimdienstler sich unter eine Sportdelegation mischten. So sei es bei einem offiziellen Bewerber-Event für die Olympischen Winterspiele 2022 in Lausanne zu einem Zwischenfall gekommen: Ein paar Tibet-Demonstranten schmuggelten sich ins Palace-Hotel, als Peking seine Kandidatur vorstellte.

«Die Aktivisten hatten kaum ihre Parolen gerufen, da stürzten sich ein halbes Dutzend Männer aus der chinesischen Delegation auf die Demonstranten, packten sie, hielten ihnen den Mund zu und trugen sie raus», so Weinreich.

Er selber sei als Journalist anwesend gewesen und habe das Ganze gefilmt. Da habe sich einer der Chinesen auf ihn gestürzt und ihm die Kamera aus der Hand geschlagen. Er habe deshalb beim Internationalen Olympischen Komitee IOC eine Beschwerde eingereicht. «Die zuckten nur mit den Schultern: Sie wissen, dass so etwas andauernd passiert – und mischen sich gar nicht erst ein.»

Bei Grossereignissen aber seien die Geheimdienstler massiv zahlreicher vertreten. So wisse man aus den Stasi-Akten, dass im 600-köpfigen DDR-Team der Olympischen Spiele 1988 in Seoul 98 Personen als inoffizielle Geheimdienst-Mitarbeiter mit dabei waren.

In der DDR spionierten sogar Sportler für die Stasi – oftmals unter Zwang.
Autor: Jens Weinreich Sportexperte und Autor

«Hinzu kamen zahlreiche Sportler, die oftmals unter Zwang ebenfalls für die Stasi spionierten», so Weinreich. Dabei hätten sich die Sportler durchaus auch gegenseitig ausspioniert, etwa, wenn sie das Hotelzimmer teilten. «Das gehört zu den Absurditäten und Abgründen von solchen Systemen», so Weinreich.

Sicherheitsleute auch bei westlichen Delegationen

Da sei es vorgekommen, dass sich Sportler-Kollegen ein Doppelbett an einem Wettkampf geteilt und einander ausspioniert hätten, ohne dem anderen etwas davon zu sagen. Und diese Praxis könne man für Länder wie China durchaus heute noch als Massstab nehmen.

Zwar seien bei Grossanlässen auch bei Sportlerinnen-Teams aus dem Westen stets Leute dabei, die für die Sicherheit der Sportler sorgen. «Doch es gibt einen grossen Unterschied, ob diese Begleitung aus Sicherheitsgründen erfolgt oder deshalb, um Spionage zu betreiben oder die Flucht eines Sportlers zu verhindern», betont der Experte.

Jens Weinreich

Jens Weinreich

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Der Autor und Journalist Jens Weinreich hat sich in den letzten Jahren als scharfer Kritiker von Fifa, IOC & Co. einen Namen gemacht. Seit 30 Jahren befasst er sich intensiv mit sportpolitischen Fragen wie Doping, Korruption, Sportpolitik oder Verbrechen im Sport.

SRF 4 News, 19.10.2022, 17:15 Uhr;

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