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Gemeinsam gegen den Westen China und Russland: die perfekte Zweckehe

Kein anderes zwischenstaatliches Verhältnis hat so viel Potenzial, die Welt zu verändern. Doch wie intensiv und wie nachhaltig ist die Beziehung zwischen China und Russland?

Für Alexander Gabuev ist die neue Nähe zwischen China und Russland noch ausgeprägter als man sie im Westen wahrnimmt: «Die Partnerschaft gleicht einem Eisberg. Wir sehen etwas an der Oberfläche. Aber darunter, für uns unsichtbar, gibt es noch viel mehr, gerade bei der Rüstungs- und Sicherheitskooperation. Diese Partnerschaft ist wirklich ganz, ganz eng.»

Er sieht in ihr auch kein bloss vorübergehendes Phänomen: «Es ist eine Zweckgemeinschaft. Aber eine Zweckgemeinschaft kann dauerhaft sein.»

Alexander Gabuev

Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin

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Gabuev war zunächst Journalist bei der russischen Zeitung «Kommersant». Später lehrte er an der Staatsuniversität Moskau und an der Fudan-Universität in Schanghai. Seit 2015 ist er für die US-Denkfabrik Carnegie tätig. Bis zum russischen Überfall auf die Ukraine in Moskau. Dann musste das Büro dort geschlossen werden. Heute leitet Gabuev das Russland-Eurasien-Zentrum von Carnegie von Berlin aus.

Die chinesisch-russische Partnerschaft bringt, so Gabuev, beiden enorme wirtschaftliche Vorteile: Peking bezieht aus Russland günstig Rohstoffe, vor allem Öl und Gas und Lebensmittel, aber auch Rüstungsgüter. Moskau gelangt an Mikrochips und andere Hightechprodukte und importiert inzwischen mehr chinesische Autos als jedes andere Land der Welt.

Grenzstreitigkeiten überwunden

Dazu kommt ein ideologisches Ziel: «Sie wollen autonom, souverän und vor allem stark der westlichen Staatengemeinschaft gegenüberstehen. Darin unterstützen sich die beiden.»

Ein Alptraumszenario für China ist ein demokratisches, pro-westliches Russland.
Autor: Alexander Gabuev Direktor des Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin

Möglich wurde der Schulterschluss, nachdem die beiden Mächte vor einiger Zeit ihre zuvor jahrzehntelangen Grenzstreitigkeiten beigelegt haben: «Seit 2004 ist die Grenze vertraglich festgelegt.» Das setzte grosse militärische Kapazitäten frei, die man bis dahin gegeneinander gerichtet hatte. Russlands Ukraine-Invasion verlieh dann der Partnerschaft gewaltigen Zusatzschub, angetrieben vor allem von Moskau.

Matrjoschka-Puppen mit dem Antlitz einerseits von Xi, und daneben von Putin.
Legende: Vor dem Krieg gegen die Ukraine hatte Russland noch Handlungsoptionen, nicht zuletzt wirtschaftliche. Es wickelte damals noch 40 Prozent seines Handels mit dem Westen ab. Heute hat der Kreml keine andere Wahl mehr, als sich China an den Hals zu werfen. Im Bild: Traditionelle russische Matrjoschka-Puppen in Moskau. (14.11.23) EPA/MAXIM SHIPENKOV

In Gesprächen mit hohen chinesischen Funktionären stelle er aber auch deren grosses Interesse fest, berichtet Gabuev: «Ein Alptraumszenario für China ist ein demokratisches, pro-westliches Russland. China würde sich dann eingekreist fühlen, von demokratischen Ländern – Japan, Südkorea, Indien, Indonesien. Deshalb liegt es im nationalen Interesse Chinas, Putin weiterhin im Kreml zu haben.»

Moderates Peking, radikales Moskau

Sich dem Westen entgegenzustemmen und die aus chinesischer wie russischer Sicht westlich geprägte regelbasierte Weltordnung auszuhebeln, sei beiden Staaten ein Anliegen. Peking sei dabei moderater. Es möchte aus wirtschaftlichen Gründen an gewissen Regelungen festhalten und beansprucht primär noch mehr Einfluss auf der internationalen Bühne, nicht zuletzt in der UNO.

Der Kreml indes sei radikal. Aus dessen Sicht ist die Weltordnung amerikanisch dominiert und damit zwangsläufig anti-russisch, weshalb Russland an dieser Ordnung gar nicht interessiert ist. Es ist für Russland wünschenswert, dass diese Ordnung auseinanderfällt.  

Globaler Game-Changer

Russland strebe ausserdem gar nicht an, geopolitisch eine konstruktive Rolle zu spielen. Trotz einzelner Differenzen sei diese intensive Partnerschaft, so Gabuev, «wirklich ein Game-Changer» für die USA, weil sie die beiden Grossmächte nun als «Quasi-Militärallianz betrachten muss.»

Westen Mitschuld an Demokratieskepsis

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Dass seit einiger Zeit Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte fast weltweit im Niedergang seien, sei nicht primär eine Folge der Kooperation der beiden grossen Diktaturen, sagt Gabuev. Daran trügen auch westliche Länder Schuld: «Entscheidend für die Attraktivität der Demokratie ist, wie erfolgreich demokratische Länder sind, wie gut sie funktionieren.» Die verbreitete Demokratieskepsis existiere, weil selbst mächtige westliche Länder, allen voran die USA, derzeit mit ihrer Innenpolitik nicht gerade für die Demokratie werben – Migrationskrise, Populismus, Polarisierung und manches mehr.

Was schliesslich könnte einen Keil in die chinesisch-russische Harmonie treiben? Gabuev: «Wenn China zu übermächtig gegenüber Russland auftritt und ihm sein Verhalten diktieren wolle. Das käme in Moskau schlecht an.» Doch genau diesen Fehler begeht die chinesische Führung in Peking derzeit nicht. Sie bezeichnet Russland stets als Grossmacht und bringt ihm verbal grossen Respekt entgegen. Peking operiert also sehr geschickt.

Echo der Zeit, 22.11.2023, 18:00 Uhr

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