Am Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefinnen sucht der Staatenbund wieder einmal nach einer gemeinsamen Linie. Diesmal geht es um die Aufrüstung; um die Wiederaufrüstung der eigenen, nationalen Streitkräfte; aber auch um den Ausbau der europäischen Produktionskapazitäten für die Herstellung von Kriegsmaterial. Beides ist Voraussetzung dafür, Russland verteidigungspolitisch die Stirn zu bieten und die Ukraine ausreichend militärisch zu unterstützen. Die Meinungen in der EU, wie das gelingen soll, gehen weit auseinander.
Europa muss in die militärische Aufrüstung investieren. Es klafft eine Investitionslücke von rund 60 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist viel Geld. Wird es für Verteidigung ausgegeben, fehlt es für Krippenplätze, Krankenhäuser, Schulen oder der Eisenbahninfrastruktur. Oder für Investitionen in den Klimaschutz oder soziale Ausgleichszahlungen etwa an Bauern, die weniger Ackerland nutzen können, um Nistplätze für Vögel zu schaffen.
Unpopuläre Herausforderung für die Staaten
Das ist die grosse politische Herausforderung, vor der alle Regierungen aller EU-Staaten stehen: Sie müssen ihren Wählerinnen und Wählern erklären, dass es nötig ist, mehr Geld für die militärische Aufrüstung auszugeben und weniger Geld für Sozialpolitik. Das ist unpopulär. Darum suchen alle Regierungen Wege, um an Geld zu kommen.
Es liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, die Gewinne aus den eingefrorenen russischen Zentralbank-Vermögen abzuschöpfen und der Ukraine weiterzugeben. Das ist willkommen, wird aber nicht ausreichen. Und kann Investitionen in die eigene Verteidigung nicht ersetzen.
Mehr gemeinsame Schulden?
Die baltischen Staaten, Polen oder Frankreich regen eine Debatte über neue Euro-Bonds an, über gemeinsame Schulden. Andere wollen nichts davon wissen. Auch solche Anleihen haben ein Verfallsdatum und müssen zurückbezahlt werden. Die Mehrheit der EU-Staaten ist hoch verschuldet. Niemand will noch mehr Schulden machen oder in wirtschaftlich eher schwachen Zeiten weitere Steuererhöhungen beschliessen.
Bleibt die Hoffnung auf mehr Investitionen privater Anleger. Die Europäische Investitionsbank EIB soll neu auch militärische Aufrüstung mit finanziellen Garantien fördern. Das zeigt, wie alte Gewissheiten in der EU infrage zu stellen sind. Die Investitionsbank wurde zusammen mit der Europäischen Gemeinschaft vor fast 70 Jahren gegründet. Mit dem gleichen Ziel: Frieden zu fördern durch wirtschaftlichen Ausgleich über nationale Landesgrenzen hinweg.
Von der Friedens- zur Waffenbank
Die 27 Staats- und Regierungschefs regen nun eine Änderung der Statuten der altehrwürdigen Institution an. Das Mandat der Investitionsbank soll erweitert werden – um den Auftrag, in Europa die Produktion von Kriegsmaterial zu beschleunigen. Die Frage der Finanzierung eines europäischen Aufrüstungsprogramms und die Frage, wie die Ukraine nachhaltiger mit Kriegsmaterial versorgt werden kann, sind politisch heikel und komplex.
Die Debatte dauert nun schon Monate und wird noch länger nicht abgeschlossen sein. Das ist aber nicht unbedingt ein Zeichen von Schwäche. Der Ruf nach schneller Umstellung auf Kriegswirtschaft ist billig. Teuer ist es, in Europa einen politischen Konsens zu suchen, der demokratisch breit abgestützt ist.