Zum Inhalt springen

Gemeinsame Sicherheitspolitik «EU-Armee in den nächsten zehn Jahren nicht realistisch»

Die Idee einer europäischen Armee hat Präsident Emmanuel Macron kürzlich wieder aufs Tapet gebracht und mit der zu grossen Abhängigkeit vom Nato-Partner USA begründet. Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützte ihn. ETH-Sicherheitsexperte Oliver Thränert hält eine vermehrte europäische Zusammenarbeit für dringend nötig, zweifelt aber am nachhaltigen politischen Willen.

Oliver Thränert

Sicherheitsexperte ETH Zürich

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Der Spezialist für Sicherheitspolitik leitet den Think Tank am Centre for Security Studies an der ETH Zürich. Von 2001 bis 2012 war Thränert an der deutschen Stiftung für Wissenschaft und Politik tätig.

SRF News: Die Idee einer europäischen Armee ist nicht neu. Warum kommt die Forderung gerade jetzt?

Oliver Thränert: Ich gehe von einer abgesprochenen deutsch-französischen Initiative zwischen Macron und Merkel aus, um wieder ein positives Momentum in den Integrationsprozess hineinzubringen. Dieser ist in Schieflage, wegen des Streits um Italiens Haushalt wie auch wegen der Nichteinhaltung vereinbarter Grundrechte in Ungarn und Polen.

Man sucht also ein gemeinsames Thema, um Gemeinschaftlichkeit zu demonstrieren?

So ist es. Das ist natürlich auch aus sicherheitspolitischer Perspektive nötig. Merkel hat vor dem europäischen Parlament deutlich gemacht, dass die USA nicht mehr unbedingt als verlässlicher Partner bezeichnet werden können. Als «Ablenkungsmanöver» angesichts von Finanzen, Brexit und Migration würde ich es nicht bewerten. Sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland sind sich die führenden Politiker einig, dass die Herausforderungen ein unabhängigeres Europa nötig machen. Das gelingt nur, wenn Europa stärker zusammenarbeitet.

Wie könnte die europäische Armee aussehen?

Es gibt viele Hindernisse. Vorerst gibt es viele Projekte in der strukturierten militärischen Zusammenarbeit der EU. Hier braucht es weitere Fortschritte bei der Rüstungsbeschaffung und der Vereinheitlichung des Materials. Es ist ein schrittweiser Prozess. Es ist wohl allen klar, dass diese Armee in den nächsten zehn Jahren nicht kommen wird. Jetzt anfangen ist aber nötig.

Werden die EU-Staaten es schaffen, die Strukturen zu vereinheitlichen, samt der Sprache?

Es ist eine grosse Herausforderung, wobei die Sprache meines Erachtens nicht die grösste ist. Da kann man sich notfalls auf Englisch einigen. Andere Probleme sind die unterschiedlichen disziplinarrechtlichen Bestimmungen. Auch die Tatsache, dass es Berufsarmeen und Armeen aus Wehrpflichtigen gibt. Ich bin nicht zu optimistisch, unterstelle aber Macron und Merkel, dass sie es ernst meinen.

Könnten die Nato und eine EU-Armee nebeneinander existieren?

Es ist unbestritten, dass es ein politisches Problem wird, wenn die Europäer innerhalb der Nato beginnen, einheitlich zu agieren. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Einige Nicht-Nato-Länder innerhalb der EU wie Schweden oder Finnland nähern sich ohnehin massiv an die Nato an, wie die Manöver im hohen Norden gerade gezeigt haben. Andere Länder wie Österreich oder Irland sind militärisch nicht besonders relevant. Die jetzt zwischen Nato und EU auftretenden Probleme können aber überwunden werden.

Wie realistisch schätzen Sie die Chancen für eine europäische Armee ein?

Es braucht einen nachhaltigen politischen Willen. Ich bin skeptisch, auch weil sich verschiedene Länder in der EU strategisch unterschiedlich orientieren. Die einen sehen Russland als grosse Bedrohung, die anderen die Flüchtlingsfrage und den internationalen Terrorismus. Insofern ist zu viel Optimismus sicher nicht angemessen.

Das Gespräch führte Sonja Mühlemann.

Meistgelesene Artikel