Als der Internationale Strafgerichtshof 2003 seine Arbeit aufnahm, galt er als historische Errungenschaft. Endlich sollten Gewaltherrscher für ihre Untaten büssen müssen. Tatsächlich wurden schon bald die ersten Drahtzieher von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen angeklagt, vor allem solche aus Afrika, wie der kongolesische Milizenführer Thomas Lubanga.
Bloss gut zwei Jahrzehnte später steht der Strafgerichtshof politisch im Gegenwind. Autokraten haben ihn immer gehasst, inzwischen gehört auch die US-Regierung zu den erbitterten Gegnern. US-Präsident Donald Trump spricht dem ICC jegliche Legitimität und Autorität ab.
Trump: «ICC hat keine Gerichtsbarkeit, Autorität und Legitimität»
Washington droht gar Personen und Institutionen Strafen an, die mit dem ICC irgendwie kooperieren. Das kann gar eine Firma treffen, die dem Gericht Büromöbel liefert.
Netanjahu oder Putin unantastbar?
Den besonderen Zorn der USA zog ICC-Chefankläger Karim Khan auf sich, als er voriges Jahr einen Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu wegen Kriegsverbrechen in Gaza erliess.
Wegen dieses Haftbefehls gehen nun auch Staaten auf Distanz, die zuvor überzeugt hinter dem ICC standen, so etwa Deutschland. Bundeskanzler Friedrich Merz erklärt nonchalant, er würde schon dafür sorgen, dass der Haftbefehl gegen Netanjahu nicht vollstreckt werde, falls der nach Deutschland käme.
Auch die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter ist der Meinung, dass ein Regierungschef wie Netanjahu oder ein Staatschef wie Wladimir Putin unantastbar seien, würden sie die Schweiz besuchen. Diese Haltung widerspricht indes den klaren ICC-Vorgaben, die solche Sonderregelungen für Staatschefs und politische Interventionen zu deren Schutz gerade nicht vorsehen.
Vorwürfe gegen den Chefankläger
Inzwischen sind es nicht mehr nur ICC-Mitgliedländer wie Südafrika – wie im Fall des früheren sudanesischen Diktators Omar al-Baschir – oder die Mongolei – wie im Fall Putins – , die ihrer Pflicht nicht nachkommen wollen, diese Potentaten festzunehmen und nach Den Haag auszuliefern.
Im Fall Netanjahus verweigerte sich auch das EU-Mitglied Ungarn. Weitere Länder kündigen ein solches Verhalten an. Mit Ungarn tritt nun gar erstmals ein EU-Mitglied aus dem ICC aus, wie Regierungschef Viktor Orban stolz verkündete.
Ungewisse Zukunft des ICC
Vor diesem Hintergrund ist besonders dramatisch, dass nun ICC-Chefankläger Khan selber massiv unter Beschuss geraten ist. Und mit ihm das Gesicht und die starke Figur des Strafgerichtshofs. Dem Briten werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Das hat ihn jetzt gezwungen, sein Amt vorübergehend niederzulegen.
Jene, die ihn nach wie vor unterstützen, vermuten hingegen, die Angriffe gegen Khan gründeten genau darin, dass er sich nicht scheue, Mächtige wie Netanjahu oder Putin ins Visier zu nehmen. Der Fall liegt nun bei Oios, der UNO-internen Geschäftsprüfungskommission. Ihr Untersuchungsgericht soll bald vorliegen.
Geht Chefankläger Khan daraus nicht mit blütenweisser Weste hervor, ist er kaum noch zu halten. Die Gefahr besteht, dass der ICC an diesem erbitterten und mehrschichtigen Streit zerbricht. In einer Welt, die nicht mehr eine des Rechts, sondern wieder eine Welt der Macht ist, wirkt der ICC, obschon noch gar nicht alt, bereits wieder aus der Zeit gefallen.