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Generaldirektor der IAEA Rafael Grossi, der Diplomat an allen Fronten

Der argentinische Chef der UNO-Atomenergiebehörde hat sich mit Leidenschaft und Fingerspitzengefühl einen Namen gemacht.

Rafael Grossi ist Politologe und Diplomat. Nuklearexperte ist er nicht. Warum also begibt sich der 61-Jährige immer wieder an die Front? Mit Schutzweste und Helm, in gepanzerten Geländefahrzeugen, führt er seine Inspektoren persönlich an. Das hatten berühmte Vorgänger von ihm, Hans Blix oder Mohammed el-Baradei, nie getan.

Grossi dagegen war erst in Tschernobyl, nun in Saporischja. «Wünscht uns Glück», bat er Reporter, bevor sich sein Team auf den gefährlichen Weg aufmachte: «Es ist wichtig, dass die Welt erfährt, was wir tun.»

Mehr Gewicht als ein Delegationsleiter

Tatsächlich verleiht er mit seiner persönlichen Präsenz der IAEA-Mission mehr Gewicht gegenüber widerspenstigen Regierungen. So sagten die Russen vor der Inspektion im von ihnen besetzten ukrainischen Meiler Saporischja, die UNO-Fachleute dürften bloss einen Tag bleiben.

Es ist wichtig, dass die Welt erfährt, was wir tun.
Autor: Rafael Grossi Generaldirektor der IAEA

Grossi widersprach: «Wir bleiben, solange es nötig ist.» Und er lässt einige Inspektoren dauerhaft in Saporischja, damit sie die Situation beobachten und Alarm schlagen können, sobald nötig. Eine solch entschiedene Haltung hätte sich ein tieferrangiger Delegationsleiter nicht erlauben können.

Seit Beginn des Krieges hat Grossi die Medienarbeit seiner Behörde intensiviert, publiziert bisweilen fast täglich Communiqués. Der Argentinier nutzt die Weltöffentlichkeit für sein Ziel, die Sicherheit der ukrainischen AKW möglichst zu garantieren und Druck zu machen, damit um Saporischja eine entmilitarisierte Zone eingerichtet wird.

Bis vor drei Jahren nahezu unbekannt

Als Grossi vor drei Jahren seinen Posten antrat, besass er schon breite Erfahrung als Atom- und Chemiewaffenunterhändler. Doch über einen kleinen Zirkel hinaus kannten ihn die wenigsten. Erste Porträts über ihn waren papieren, glichen Wikipedia-Einträgen. Das änderte sich rasch.

Rafael Mariano Grossi mit einem weissen Helm bei der Ankunft im AKW Saporischja am 1. September.
Legende: Rafael Grossi (weisser Helm) bei der Ankunft beim AKW Saporischja am 1. September. Es ist das grösste AKW Europas. Russland hat es Anfang März, kurz nach Beginn der Invasion, besetzt. In der Nähe der Reaktoren schlagen immer wieder Geschosse ein. Keystone/EPA/Yuri Kochetkow

Er hing sich engagiert rein, um das an einem dünnen Faden hängende Atomabkommen mit dem Iran zu retten. Bisher ohne Erfolg. Doch ohne ihn wäre dieser historische Vertrag wohl definitiv beerdigt.

Er kritisiert die massiven Vertragsverletzungen durch Teheran unverblümt, verhandelt aber gleichzeitig unverdrossen mit dem Regime – überzeugt davon, dass die Welt nur sicherer wird, wenn es weniger Atombomben und weniger Atommächte gibt.

Nichts gegen zivile Nutzung der Energie

Grossi befürwortet – wie die UNO generell – die zivile Nutzung der Atomkraft, sofern Kontrollen und Sicherheitsregeln streng sind. «Kernkraft leistet einen Beitrag gegen den Klimawandel», sagt er. 

Die IAEA sicherte sich unter Grossi viel Rückhalt. US-Aussenminister Antony Blinken lobt deren Schlüsselrolle in den Verhandlungen mit dem Iran.

Ich war besorgt, ich bin besorgt und ich bleibe besorgt.
Autor: Rafael Grossi Generaldirektor der IAEA

Der russische Aussenminister Sergej Lawrow behauptet, Moskau tue alles, um die IAEA-Mission in Saporischja zu erleichtern, was nur begrenzt den Tatsachen entspricht. Auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski steht voll hinter der IAEA. Er hat alles Interesse, dass das AKW weiter Strom liefert und eine Nuklearkatastrophe vermieden wird, deren erstes Opfer die ukrainische Bevölkerung wäre.

Solange die Kämpfe rund um Saporischja weitergehen, bleibt die Lage bedrohlich. Grossi sagt es so: «Ich war besorgt, ich bin besorgt und ich bleibe besorgt.» Die IAEA bemüht sich mit technischen und wissenschaftlichen Mitteln um mehr Sicherheit. Doch auf die politisch-militärische Lage, wo das Hauptproblem liegt, hat sie keinen Einfluss.

Rendez-vous, 05.09.2022, 12:30 Uhr

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