Er ist geerntet, der erste Goldene Reis. Er schmeckt wie jeder andere Reis, aber er ist genetisch verändert und soll den Vitamin-A-Mangel bekämpfen. Weltweit erblinden 500'000 Kinder daran, viele von ihnen sterben an den Folgen. Für diesen Goldenen Reis kämpft Ingo Potrykus seit 30 Jahren. Doch die Hürden sind hoch – wissenschaftlich, aber auch politisch.
Das Glas mit gelben Reiskörnern steht auf dem Tisch. Ingo Potrykus könnte stolz sein: Mit 89 Jahren erlebt der emeritierte Professor für Pflanzenforschung an der ETH, wie im Herbst 70 Tonnen seines Goldenen Reises auf den Philippinen geerntet werden. Dieser Reis wird nun an Vorschulkinder, schwangere oder stillende Mütter verteilt. Doch der beschwerliche Weg hat an ihm gezehrt.
Der Kampf gegen den Hunger
«Vitamin-A-Mangel ist der versteckte Hunger», sagt Ingo Potrykus, «man spürt ihn erst, wenn es zu spät ist.» Was Hunger ist, weiss Potrykus. 1933 in Deutschland geboren, konnte er während Jahren auf der Flucht nur überleben, indem er essbares auf den Feldern suchte. «Wir haben gestohlen, um zu überleben.» Auf dieser Erfahrung gründet sein Kampf gegen den Hunger. «Ich bin kein Wissenschaftler. Ich möchte praktisch helfen.»
Der undenkbare Durchbruch
1992 beginnt Potrykus zusammen mit dem Wissenschaftler Peter Beyer mit den Experimenten, um Reis mit dem Beta-Karotin anzureichern. Im Jahr 1999 entdeckt er unter dem Mikroskop die ersten gelben Körner. «Da wussten wir, dass wir etwas geschafft hatten, was niemand für möglich gehalten hatte.» Bei einer Wette unter zehn Wissenschaftlern haben neun dagegen gewettet. «Es war meine Naivität, die dieses Projekt acht Jahre durchgezogen hat.»
Das Ziel ist klar: Dieser Reis soll an arme Bauern verschenkt werden. Potrykus wollte nie Gewinn machen. Eine Zusammenarbeit mit Syngenta scheitert nach wenigen Jahren, weil die Entwicklung des Reises zu wenig Einnahmen verspricht. «Wir hatten keine Ahnung, was es heisst, etwas verschenken zu wollen, was es heisst, einen wissenschaftlichen Durchbruch zu den Armen zu bringen.»
Widerstand gegen genveränderte Organismen
Den grössten Widerstand leisten Umweltorganisationen wie Greenpeace. Aus Angst, genveränderte Pflanzen könnten Umwelt und Menschen beeinträchtigen. «Die EU hat 565 Projekte finanziert, um genau diese Frage zu untersuchen. Es ist klipp und klar gezeigt worden, dass transgene Pflanzen mindestens so sicher sind wie normale Pflanzen. Im Grunde sind sie sicherer, weil sie besser untersucht sind», sagt der Forscher. Die Proteste gegen die Gentechnik verzögern sein Projekt.
Potrykus gründete eine Stiftung, die grösste Unterstützerin ist die Bill und Melinda Gates-Stiftung. Rund 20 Jahre dauert die Erarbeitung aller erforderlicher Unterlagen für eine Bewilligung für den Anbau und den Verzehr von Goldenem Reis. 2021 geben die philippinischen Sicherheitsbehörden grünes Licht. Nun hofft Potrykus, dass auch andere Länder folgen. Goldenen Reis in Indien zu pflanzen wäre sein grösser Wunsch. «Wenn ich damals gewusst hätte, was auf mich zukommt, dann hätte ich vermutlich die Finger davongelassen», bilanziert Ingo Potrykus. Doch ganz sicher ist er nicht.