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Geschäft mit Geflüchteten Entführt, gefoltert, vergessen: das Elend der Migranten in Libyen

Vor den Toren Europas vollzieht sich ein humanitäres Elend: Geflüchtete sind ihren Peinigern schutzlos ausgeliefert.

Sie verliessen ihre Heimat mit dem Ziel, es nach Europa zu schaffen. Nun warten Hunderttausende Migrantinnen und Migranten in Libyen auf einen Platz auf einem Boot, das sie übers Mittelmeer bringt.

Viele harren seit Jahren in dem kriegsversehrten Land aus, das nach dem Tod von Langzeitdiktator Muammar al-Gaddafi vor zwölf Jahren in Chaos und Anarchie versank. Für Menschenhändler sind die Gestrandeten zu einem lukrativen Geschäft geworden: Sie entführen Geflüchtete, foltern sie und erpressen Lösegeld von den Angehörigen.

Nigerianischer Flüchtling in einem Internierungslager bei Triopolis
Legende: Das Elend der Migranten und Flüchtlinge in Libyen ist seit Jahren bekannt. 2019 schilderte auch eine Mitarbeiterin von Ärzte ohne Grenzen gegenüber SRF News, dass Geflüchtete in Libyen wie «Waren im Warenlager» festgehalten würden – bis ihre Angehörigen sie freikauften. Keystone/AP/Manu Brabo (Archiv)

Das Entsetzen über die damaligen Berichte war gross. Gebessert hat sich die Situation aber nicht, wie die freie Afrika-Korrespondentin Bettina Rühl berichtet: «Migrantinnen und Migranten, die versuchen, nach Europa zu kommen oder auch nur auf der Suche nach Arbeit in die Städte an der libyschen Küste wollen, werden weiterhin entführt.»

Mittlerweile ist bekannt, dass auch in den Internierungslagern der international anerkannten libyschen Regierung gefoltert wird und Menschen misshandelt werden.
Autor: Bettina Rühl Freie Afrika-Korrespondentin

Die Gründe dafür, dass das menschenverachtende Geschäft mit den Geflüchteten weiter floriert, sind vielschichtig. Die politische Lage in Libyen ist weiter höchst instabil. Zwei rivalisierende Regierungen ringen um die Vormachtstellung, dazu kontrollieren verschiedene Milizverbände Teile des riesigen Landes. Und die Machtelite und die Behörden im Land hätten «weder die Kapazität noch den Wunsch», bei Verbrechen an Geflüchteten zu ermitteln, sagt Rühl.

Dichtes Netz an Kartellen

In Europa wiederum liegt der Fokus nicht auf der Menschenrechtslage im Land. «Die Frage ist eher, wie man verhindern kann, dass die Migrantinnen und Migranten das Mittelmeer überqueren», so die Afrika-Korrespondentin.

EU kooperiert mit libyscher Küstenwache

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Afrikanische Migranten, die von der libyschen Küstenwache zurück an Land gebracht wurden.
Legende: Afrikanische Migranten, die von der libyschen Küstenwache zurück an Land gebracht wurden. Keystone/EPA/STR (Archiv)

Die EU überweist Gelder nach Libyen, damit die dortige Küstenwache Bootsmigranten im Meer aufgreift und zurück ins Land bringt. Doch auch die libysche «Küstenwache» sei kein staatliches Gebilde, erklärt Korrespondentin Bettina Rühl. «Es ist ein Flickenteppich aus verschiedenen Milizverbänden. Einige der Kommandeure sind auch selbst am Menschenhandel beteiligt.» Die EU müsse die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache denn auch dringend überdenken: «Kann Europa wirklich verantworten, dass Menschen in dieses System zurückgeführt werden?

Am Geschäft mit Folter und Erpressung in Libyen sind laut Rühl verschiedene Akteure beteiligt. Zum einen internationale Kartelle, denen auch Schmuggler und Menschenhändler angehören, die selbst aus den Heimatländern der Geflüchteten stammen. Sie nutzen das Vertrauen aus, das ihnen ihre Landsleute in der Fremde entgegenbringen.

Zum anderen gibt es Kartelle, die sich aus libyschen Volksgruppen rekrutieren: Diese kontrollieren Teile der Migrationsroute in dem riesigen Land und pressen Geld aus den Geflüchteten. «Mittlerweile ist auch bekannt, dass auch in den Internierungslagern der international anerkannten libyschen Regierung gefoltert wird und Menschen misshandelt werden.»

Migranten wissen, was ihnen droht

Die verschiedenen Akteure gehen oft gleich vor: Sie entführen Flüchtlinge und Migranten und zwingen sie dazu, ihre Angehörigen in der Heimat zu kontaktieren. Diese sollen sie dann von ihren Peinigern freikaufen. «Häufig werden sie während dieser Anrufe gefoltert, damit die Angehörigen ihre Schmerzensschreie hören.»

Was tun?

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Für Bettina Rühl ist klar: Die EU und die internationale Gemeinschaft generell unternehmen zu wenig, um das Foltergeschäft in Libyen zu unterbinden. «Es müsste sehr viel stärker gegen die Anführer der Menschenhändlerringe ermittelt werden, von denen sich viele ungestört im Ausland bewegen.» Die italienischen Strafverfolgungsbehörden hätten im Rahmen grösserer Ermittlungen schon einmal viele der Namen recherchiert. «Das blieb aber abgesehen von vereinzelten Festnahmen weitgehend folgenlos», so Rühl. «Es wäre vonseiten der internationalen und europäischen Behörden viel mehr möglich, um gegen diese Gruppen vorzugehen.»

Im Laufe der Jahre hat Rühl viele Menschen getroffen, die auf dem Weg nach Libyen waren oder sich schon dort befanden. Ihnen sei durchaus bewusst, welches Schicksal ihnen dort droht. Rühl erinnert sich an ein Gespräch mit einem Mann aus Guinea, der von Niger aus nach Libyen weiterreisen wollte. «Er hatte unglaubliche Angst, aber er hatte das Gefühl, dass er gar nicht anders kann – weil seine Familie von ihm die Flucht nach Europa erwartete.»

Andere versuchten, die Gefahren kleinzureden oder auszublenden. Überlebende wiederum berichteten der Journalistin, dass sie nie nach Libyen gegangen wären, hätten sie gewusst, was sie dort erwartet. «Mein Eindruck war: Wer diesen Horror nicht selbst erlebt hatte, konnte sich nicht vorstellen, in Libyen auf diese Weise gequält zu werden.»

SRF 4 News, 16.01.2024, 6:45 Uhr ; 

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