«Die Schüler lernen Dummheiten», sagt Jean-Pierre Cabestan. Der Politologieprofessor von der Hongkong Baptist University blättert in einem aktuellen Schulbuch für Gymnasiasten. Der Titel: «Moderne und zeitgenössische Geschichte Chinas». Herausgeber: Chinas staatlicher Lehrmittelverlag.
Laut Cabestan fehlen im Schulbuch wichtige Zahlen und Ereignisse. Zum Beispiel: Ende der 1950er Jahre versuchte der damalige Vorsitzende der Partei, Mao Tsetung, das noch bäuerliche Riesenreich zu industrialisieren. China setzte zum sogenannten «Grossen Sprung nach vorn» an. Doch die durchgeführten Kampagnen waren ein Fehlschlag.
Auseinandersetzung mit den Fehlern der Partei: unerwünscht
Der «Grosse Sprung nach vorn» verursachte eine der schlimmsten Hungerkatastrophen der Weltgeschichte mit je nach Schätzung 30 bis 50 Millionen Toten. Diese Zahlen sieht der Professor im Lehrmittel nirgends. Auch die blutige Niederschlagung der Studenten-Proteste 1989, die als Tiananmen-Massaker bekannt wurden, fehlt.
Geschichte ist in China zutiefst politisch.
«Die Kommunistische Partei will nicht, dass man sich mit ihren Fehlern und Schwächen auseinandersetzt», erklärt Cabestan. «Geschichte ist in China zutiefst politisch. Diese darf nicht den Historikern überlassen werden. Die Partei entscheidet, welche Geschichte gelehrt wird.»
Was der Partei nicht passt, wird blockiert
China zensiert nicht nur Schulbücher. Eine Debatte über die Geschichte findet ebenso wenig in den Zeitungen, Radio und Fernsehen statt. «China hat von Beginn weg das sowjetische Modell verfolgt und betrachtet die Medien als Propagandamaschine», erklärt Medienforscher King-wa Fu. Dasselbe gelte für das Internet: «Themen, die der Partei nicht passen, werden blockiert.»
Möglich macht das die sogenannte Great Firewall. Dieser digitale Schutzwall trennt das chinesische Internet vom Rest der Welt. Zensiert werden Themen wie das Tiananmen-Massaker aber auch politische Aktualität. Kurz: alles was nicht auf Regierungslinie ist.
Häufig gesperrt: «Donald Trump» und «Hongkong»
Von seinem Labor aus an der Universität Hongkong beobachtet King-wa Fu was in diesem geschlossenen Netzwerk vor sich geht. 40 Smartphones folgen rund 3000 Benutzerkonten auf Chinas wichtigster sozialer Plattform WeChat. Laut seiner Anti-Zensur-Webseite Wechatscope zählten vor einer Woche Begriffe wie «Donald Trump» «China» und «Hongkong» zu den am häufigsten gesperrten Wörtern.
Die Kommunistische Partei hat viel zu viel Angst davor an Einfluss einzubüssen.
Der Medienforscher und der Politologieprofessor sehen keine Anzeichen dafür, dass sich China unter der aktuellen Führung auf eine Geschichtsdebatte einlässt. Jean-Pierre Cabestan: «Die Kommunistische Partei hat viel zu viel Angst davor an Einfluss einzubüssen. Und das ist es, was die Partei am meisten fürchtet, dass sie die Kontrolle verliert.»