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Gefährlicher Terrorist oder palästinensischer Nelson Mandela?
Aus Echo der Zeit vom 22.02.2024. Bild: SRF
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Gespräch mit Barghouthis Sohn Marwan Barghouthi: Terrorist oder politischer Häftling?

Der beliebteste palästinensische Politiker ist auch Israels prominentester Häftling. Marwan Barghouthi: für Israel ein Top-Terrorist, für einen Teil der Welt ein Hoffnungsträger.

Seinen Vater hat Arab Barghouthi seit anderthalb Jahren nicht mehr gesehen, berühren durfte er ihn letztmals als Kind. Der 33-Jährige ist es von klein auf gewohnt, dass er seinen Vater nur selten im Gefängnis besuchen darf. Aber seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober erlaube die israelische Gefängnisbehörde dem Vater gar keine Besuche mehr – nicht einmal von seinem Anwalt.

Nur zehn Minuten lang habe dieser seinen Vater im Dezember besuchen dürfen und habe von schlimmen Haftbedingungen berichtet. «Keine Matratze, kein Wasser, kein Strom, keine Hygiene, keine Kleidung: Mein Vater ist isoliert in einer dunklen Zelle eingesperrt, wo er den ganzen Tag mit lauter Musik beschallt wird. Er bekommt so wenig zu essen, dass er zehn Kilo abgenommen hat.»

Wer ist Marwan Barghouthi?

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Marwan Barghouthi wurde 1959 im heute besetzten Westjordanland geboren. Schon als Jugendlicher trat er in Jassir Arafats Fatah-Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas ein. Wegen seiner Rolle als militärischer Führer während des ersten Palästinenseraufstandes liess ihn Israel 1987 verhaften und nach Jordanien deportieren.

Im Rahmen des Oslo-Friedensprozesses kehrte er 1994 zurück und setzte sich für Frieden und einen palästinensischen Staat ein. Als der Friedensprozess 2000 zusammenbrach, spielte er bei der zweiten Intifada eine führende Rolle.

2002 liess ihn Israel erneut verhaften und verurteilte ihn als mutmasslichen Terroristen-Führer zu einer fünfmal lebenslänglichen Gefängnisstrafe. Er stritt die Vorwürfe stets ab. 2013 forderten acht Friedensnobelpreisträger in einer Erklärung auf der südafrikanischen Gefängnisinsel Robben Island, wo Nelson Mandela jahrzehntelang inhaftiert war, seine Freilassung.

Barghouthi ist der beliebteste palästinensische Politiker und wird auch von ausländischen Politbeobachterinnen und -beobachtern als möglicher Nachfolger von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas gesehen.

Sein Vater ist für Israel ein Terrorist, wie einst Jassir Arafat. Dieser war noch Palästinenserpräsident, als Marwan Barghouthi 2002 von den Israelis als angeblicher Drahtzieher von Terrorattacken verhaftet und später zu einer fünfmal lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Barghouthi war ein hoher Funktionär in Arafats Fatah-Partei. Er kritisierte Arafat aber auch: wegen Korruption. Israels Vorwürfe hat Barghouthi stets bestritten, das Gerichtsverfahren betrachtet er als illegal.

Grossflächige Porträts von Jassir Arafat sowie Marwan Barghouthi an einer Mauer.
Legende: In Israels Augen sind Marwan Barghouthi (links) und Jassir Arafat (rechts) Terroristen. SRF

Sein Vater habe immer für eine Zweistaatenlösung gekämpft, sagt Arab Barghouthi: aber nur für eine, die auch gerecht sei. «Er findet, das palästinensische Volk habe ein Recht auf ein Leben in Würde wie alle anderen Völker auch. Und er hat nie zur Zerstörung Israels oder der Israelis aufgerufen.»

Für seine eigene Generation sei eine Zweistaatenlösung nichts als ein hohles Versprechen, eine Lüge, sagt Arab Barghouthi: «Wir wollen Gleichberechtigung: Ob ein Staat, zwei oder zehn Staaten ist mir egal – ich will nur, dass ein palästinensisches Leben gleich viel wert ist wie ein israelisches.»

Kritik am Westen

«Warum werden zehntausende unserer Kinder, Frauen und unschuldige Männer abgeschlachtet? Warum schaltet man zwei Millionen Menschen im Gazastreifen die Wasser-, Strom- und Lebensmittelversorgung ab?“ All das passiere mit der Rückendeckung westlicher Regierungen.

«Der Krieg in Gaza zeigt die Doppelmoral des Westens. Dieser predigt Redefreiheit und Unabhängigkeit, aber sie gilt nur für weisse Menschen, nicht für braune, schwarze, muslimische», so Arab Barghouthi. Er spricht damit aus, was die palästinensische Bevölkerung seit Jahrzehnten empfindet, und warum sie die USA für einseitig pro-israelisch befangen hält.

Arab Barghouthi blickt mit verschränkten Armen in die Kamera.
Legende: Sein Vater habe immer für eine Zweistaatenlösung gekämpft, sagt Arab Barghouthi (im Bild). Für seine eigene Generation sei dies jedoch eine Lüge. ZVG

Arab Barghouthi wünsche sich nichts sehnlicher als ein Ende der Gewalt: «Frieden kann ich mir jetzt gerade zwar nicht vorstellen, aber ich wünsche mir so sehr, dass wir einen Weg finden, einander zu vergeben und gemeinsam voranzukommen.»

Er redet wie sein Vater, wenn er sagt: «Wir haben drei Möglichkeiten: Wir leben alle in einem Staat zusammen als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger. Oder: zwei getrennte Staaten. Oder: so weitermachen und einander bis in alle Ewigkeit gegenseitig töten.»

Arabs Vater Marwan Barghouthi ist bei der palästinensischen Bevölkerung weitaus beliebter als die Hamas. Er wird deshalb auch international als möglicher Hoffnungsträger für einen palästinensischen Staat gehandelt. Aber Israel lehnt einen palästinensischen Staat ab, und erst recht eine Freilassung Marwan Barghouthis.

Echo der Zeit, 23.02.2024, 18 Uhr;kesm

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