Keine Metropole ohne Tauben: Egal ob Rom, Paris oder New York – einmal in einem Meer aus Tauben zu verschwinden, gehört zu jedem ernsthaften Städtetrip. Die «Faszination Taube» kann jedoch schnell verfliegen. Spätestens dann, wenn die schmucke Gucci-Handtasche zielgenau von Vogelkot getroffen wird.
Auch in der indischen Megametropole Mumbai führt kaum ein Weg an unseren gefiederten Freunden vorbei. Und zwar buchstäblich: Seit dem Jahr 2000 hat sich die Population um schätzungsweise 150 Prozent vergrössert. Die Behörden führen das auf ein Überangebot an Nahrung zurück.
Schluss mit der Vogelfütterung
In einigen Stadtteilen ist die Zahl der Vögel regelrecht explodiert. Zu Abertausenden nehmen sie die Parks und Plätze in Beschlag. In der Luft hängt der Geruch von Kot, sobald die Tauben in die Lüfte steigen, «schneien» ihre Federn auf die Passanten herunter.
«Genug!», finden die lokalen Behörden. Per Gerichtsentscheid wurde nun ein Fütterungsverbot an öffentlichen Plätzen verfügt. Das Bombay High Court begründet den Entscheid mit der steigenden Gefahr von Atemwegserkrankungen und Infektionen. «Die Richter sind aber auch um das kulturelle Erbe besorgt, das durch den Taubendreck beschädigt wird», berichtet SRF-Korrespondentin Maren Peters, die selbst in Mumbai lebt.
Dass die Stadt (quasi) den Tauben gehört, ist kein Zufall, sondern hat Tradition: Denn in Mumbai pflegen viele Einheimische eine besondere Beziehung zu den Vögeln.
Symbol für Gewaltlosigkeit
In der zweitgrössten Stadt Indiens gibt es 51 traditionelle Taubenfütterplätze (Kabutarkhana). Dort Tauben zu füttern, ist für manche Menschen mehr als blosse Gewohnheit: Für die Jain-Gemeinschaft ist es religiöse Pflicht. «Zu ihrem Glauben gehört die Gewaltlosigkeit», erklärt Peters. «Und indem sie Tauben füttern, demonstrieren sie diese Gewaltlosigkeit. Dadurch erhoffen sie sich Segen für die Wiedergeburt und ein gutes Karma.»
«Tauben sind in Indien generell sehr beliebt und auch sehr präsent», sagt Peters. «Viele Menschen wollen das richterliche Verbot daher nicht akzeptieren.» Insbesondere die Schliessung der Taubenfütterplätze lässt die Emotionen hochgehen. Diese liegen teilweise direkt neben den Tempeln der Jain.
«Entsprechend gross war der Aufschrei in der Gemeinschaft», so die Korrespondentin. «Sie sehen sich durch das Verbot an der Ausübung ihres Glaubens gehindert.»
Die allermeisten Menschen in Indien sind tiefreligiös und auch zutiefst abergläubisch. Darum gibt es kaum etwas, das keinen Symbolwert hat – inklusive der Tiere.
Gegenüber der BBC erklärte ein Gläubiger: «Tauben sind unschuldig, es sind vielleicht die unschuldigsten aller Geschöpfe. Alles, was sie wollen, ist ein bisschen Zuneigung.»
Konflikt mit Sprengkraft
In den letzten Wochen kam es wiederholt zu Zusammenstössen zwischen Demonstrierenden und Polizeikräften. Manche Menschen füttern die Tauben einfach weiter. «Und andere haben sogar einen Hungerstreik angekündigt als maximale Form des friedlichen, gewaltlosen Protests», sagt Peters.
Der Streit um die (vermeintlichen) «Ratten der Lüfte» wird in vielen Städten auf der Welt erbittert geführt. In Indien berührt er aber das Innerste des kulturell-religiösen Gefüges, wie die Korrespondentin abschliessend festhält: «Politik vermischt sich mit Tradition und Religion, die hier eine grosse Rolle spielen. Die allermeisten Menschen sind tiefreligiös und auch zutiefst abergläubisch. Darum gibt es kaum etwas, das keinen Symbolwert hat – inklusive der Tiere.»