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Gewalt im Westjordanland Die Olivenernte wird zum Albtraum

Die Siedlergewalt im Westjordanland nimmt laut einem UNO-Bericht stetig zu. Zum Beispiel in Burin.

Schon die letztjährige Olivenernte war für das 3000-Seelen-Dorf bei Nablus ein Stress. Kaum hatten die Bauernfamilien mit der Ernte begonnen, klingelte das Handy des Gemeindepräsidenten dauernd. Auch an diesem Oktobermorgen 2024: Schon wieder rief ein Olivenbauer an, um sich bei Ibrahim Omran zu beklagen. Israelische Soldaten hielten seine Familie fest, direkt neben ihrem Haus, und hinderten sie an der Olivenernte. Omran verliess sein Büro, und mit einem Stossgebet fuhr er los.

Wenige Minuten später war er am Ort des Geschehens: Eine sechsköpfige palästinensische Familie sass, bewacht von zwei israelischen Soldaten, zwischen den Olivenbäumen.

Mann am Telefon nahe Olivenhain
Legende: Der Gemeindepräsident von Burin, Ibrahim Omran, kann nichts machen, um den Olivenbauern zu helfen (Bild vom Oktober 2024). SRF

Sie richteten ihre Gewehre abwechslungsweise auf den Gemeindepräsidenten mit seinen Begleitern und die palästinensische Familie.

«Befehl ist Befehl»

Einen Haftbefehl für die Familie wiesen die Soldaten auf Anfrage des Gemeindepräsidenten nicht vor. Aber einer der beiden jungen Soldaten bedauerte die Situation. «Sie dürfen nicht auf den Hügel, wo die Siedlung ist. Weil wir nicht wissen, ob unter ihnen ein Terrorist ist.»

Sobald jemand den Hügel hinaufsteige, hätten sie den Befehl, die Person zu verhaften, führte der israelische Soldat aus. «Ich mache das nicht gerne. Aber Befehl ist Befehl. Wir sind im Krieg.»

Soldat oder Siedler?

Von der jüdischen Siedlung ein Stück oberhalb des Olivenhains stieg ein bewaffneter Mann mit Tarnhosen und einem Armee-T-Shirt herab. Er sagte, er sei Soldat und dürfe keine Auskunft geben. Die Familie regte sich über die Willkür der Soldaten auf, am meisten die 60-jährige Kitan Naggaer. «Seit dem 7. Oktober 2023 machen sie uns das Leben so schwer. Stell dir vor: Auf unserem eigenen Land dürfen wir keine Oliven ernten!» Das ganze Jahr über warteten sie auf die Olivenernte. Ein anderes Einkommen hätten sie nicht.

Leute sitzen unter Olivenbäumen
Legende: Eine Olivenbauernfamilie in Burin wird von israelischen Soldaten auf ihrem eigenen Land an der Ernte gehindert (Bild vom Oktober 2024). SRF

Ob der Mann, der sich als Soldat ausgab, die von den Soldaten angeforderte Verstärkung war, blieb unklar. Die Soldaten liessen die Familie schliesslich gehen. Der Gemeindepräsident konnte die Wut über seine eigene Ohnmacht kaum verbergen. Und sagte dann: «Heute ist es ja noch einigermassen gut gegangen. Aber morgen erschiessen sie sie.»

«Ein Jahr später noch mehr Gewalt»

Ein Jahr später, gut zwei Wochen nach Beginn der Olivenernte, sagt Gemeindepräsident Ibrahim Omran am Telefon: Die Situation in diesem Jahr sei noch schlimmer als letztes Jahr. Die Zahlen des Büros des Hochkommissariats für Menschenrechte der UNO (OHCHR) geben ihm recht: In der ersten Jahreshälfte 2025 verzeichnete es 13 Prozent mehr Siedlerattacken auf Palästinenser als im Jahr davor; mehr als 750. Und bei der Palästinensischen Autonomiebehörde wurden allein in der ersten Woche der diesjährigen Olivenernte 150 Angriffe und die Zerstörung von 700 Olivenbäumen gemeldet.

Viele Fälle sind auf Videoaufnahmen dokumentiert. Trotzdem werden die Täter fast nie verhaftet. Für die palästinensische Bevölkerung ist die Gewalt in jeder Hinsicht eine Katastrophe. Laut UNO sind bereits Tausende aus ihren Dörfern vertrieben und, seit dem 7. Oktober 2023, mehr als 1000 getötet worden. Ibrahim Omran, Gemeindepräsident von Burin, sagt: Früher sei die Olivenernte ein Volksfest gewesen. Heute hätten die Menschen Angst vor der Ernte oder würden gar von ihrem Land ausgesperrt. Sanktionen gegen gewalttätige Siedler und Kritik der US-Regierung an israelischen Bestrebungen, das Westjordanland zu annektieren, vermochten die Gewalt bisher nicht zu stoppen.

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Rendez-vous, 27.10.2025, 12:30 Uhr; sten

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