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Gewalt in Libanon Tote und Verletzte bei Protesten in Beirut

  • Der Streit um die schleppende Aufarbeitung zur Explosion von Beirut ist in der libanesischen Hauptstadt eskaliert.
  • Bei Protesten kam es zu Schüssen und teils schweren Feuergefechten auf offener Strasse. Unbekannte sollen das Feuer auf Protestierende eröffnet haben.
  • Mindestens sechs Personen wurden Innenminister Bassam Maulawi zufolge getötet. Dutzende weitere Personen seien verletzt worden.

Die Gewalt begann laut einem Augenzeugen, als Unbekannte aus einem Gebäude in Nähe des Justizpalastes Schüsse abgaben. Dort fand ein Protest gegen Ermittlungsrichter Tarek Bitar statt, der die Untersuchung zur Explosion im Hafen von Beirut im August 2020 leitet. Damals waren mehr als 190 Menschen getötet und rund 6000 verletzt worden.

Am Nachmittag stellte die Armee schrittweise wieder Ruhe her. Auf den Strassen waren Panzer und Soldaten in Stellung. An mehreren Gebäude waren Einschusslöcher zu sehen.

Anschuldigungen an christliche Forces Libanaises

Zu den Protesten hatte die schiitische Amal-Bewegung aufgerufen. Die Amal-Bewegung und die mit ihr verbundene, Iran-treue Hisbollah sprachen von Scharfschützen auf Dächern, die das Feuer auf ihre Anhänger bei dem Protest eröffnet hätten.

Sie beschuldigten die christlichen Forces Libanaises (FL), bewaffnete Milizen auf die schiitischen Demonstranten losgeschickt zu haben. Die militaristische FL-Partei ist Nachfolger einer gleichnamigen Miliz, der vor Jahrzehnten mehrere politische Morde zur Last gelegt wurden.

Korrespondent: «Das Potential zur Eskalation ist vorhanden»

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SRF News: Ist zu befürchten, dass dieser Konflikt nun in grossem Stil eskaliert?

Jonas Bischoff: Das Potential ist auf jeden Fall vorhanden. Das Schreckgespenst eines neuen Bürgerkriegs schwebt schon seit längerem über dem Libanon. Da ist die politische Krise, die verschleppte Untersuchung zur Explosion im Hafen vom August 2020 und vor allem die Wirtschaftskrise, die die Menschen im Land jeden Tag hart trifft. Das ist eine toxische Mischung. Da braucht es nicht viel, dass Konflikte relativ schnell in Gewalt umschlagen. Es gibt auch sonst Parallelen zum Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 – die religiöse Komponente, die Vorwürfe, christliche Milizen hätten die schiitische Hisbollah heute angegriffen.

Ausgetragen wird das alles ja auch auf dem Rücken der Angehörigen der Opfer der Hafenexplosion.

Das kann man so sagen. Die Angehörigen der Opfer warten seit über einem Jahr auf Antworten. Vor nicht allzu langer Zeit sprachen wir mit Opfer-Familien – sie sind frustriert. Frustriert über die politische Elite im Libanon, welche diese Untersuchungen systematisch torpediert. Schon der Vorgänger des heutigen Untersuchungsrichters wurde aus dem Amt geworfen. Auch gegen den aktuellen Untersuchungsrichter gibt es Vorwürfe, er sei zu wenig unabhängig. Zufriedenstellend ist das alles nicht. Man muss auch sagen: Die Stimmungsmache kommt vor allem aus dem Umfeld der Ex-Minister, gegen die ermittelt wird. Wohin das führen kann, haben die heutigen Ereignisse gezeigt.

Das Gespräch führte Florian Inhauser.

Amal und Hisbollah fordern, dass Ermittlungsrichter Bitar der Fall entzogen wird. Einen entsprechenden Antrag zweier Ex-Minister mit Verbindungen zu Hisbollah und Amal wies ein Kassationsgericht am Donnerstag aber zurück.

Andere Kräfte werfen der Hisbollah dabei vor, die Ermittlungen zur Explosion behindern zu wollen. FL-Chef Samir Geagea forderte die Regierung auf, sich durch die Hisbollah bei den Ermittlungen zur Explosion nicht einschüchtern zu lassen.

Erinnerungen an den Bürgerkrieg

Präsident Michel Aoun erklärte, die Täter würden zur Rechenschaft gezogen. Die Armee nahm neun Verdächtige fest. Ministerpräsident Nadschib Mikati rief die Libanesen zur Ruhe auf und dazu, sich «aus keinem Grund in einen Bürgerkrieg ziehen zu lassen». An solch einen fühlten sich einige angesichts der Strassengefechte trotzdem erinnert.

Im Libanon führten von 1975 bis 1990 unter anderem christliche und muslimische Milizen gegeneinander einen Bürgerkrieg. Die Gewalt am Donnerstag spielte sich auch in Nähe einer früheren Demarkationslinie zwischen schiitischen und christlichen Vierteln ab. Am Nachmittag stellte die Armee schrittweise wieder Ruhe her. Auf den Strassen waren Panzer und Soldaten in Stellung.

Seit langem Streit um Untersuchung

Schon vor einigen Wochen hatten Ex-Minister gegen Bitar geklagt und ihm bei seiner Untersuchung mangelnde Neutralität vorgeworfen. Seinem Vorgänger war der Fall vor einem halben Jahr nach Beschwerden von beschuldigten Ex-Ministern entzogen worden.

Bitar kann seine Arbeit zumindest nach dem neuen Gerichtsbeschluss vom Donnerstag vorerst fortsetzen. Bitar hatte gegen Ex-Minister Khalil einen Haftbefehl erlassen, nachdem dieser zu einer Befragung nicht erschienen war.

SRF 4 News, 14.10.2021, 14:30 Uhr ; 

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