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Gewalt in Marseille Kämpfe französischer Drogenbanden forderten heuer schon 23 Tote

Die Behörden empfinden die Zunahme der Gewalt als beunruhigend. Und stellen fest, dass vermehrt Jugendliche unter den Opfern und Tätern sind.

Amine Kessaci ist im 13. Arrondissement im Norden von Marseille aufgewachsen. In einer Cité, einer der vielen Grosswohnsiedlungen mit Tausenden von Wohnungen. Dort, wo die Drogenbanden das Territorium kontrollieren.

Der 19-Jährige hat vor drei Jahren seinen älteren Bruder in einem Bandenkrieg verloren: «Er wurde ermordet im Kofferraum eines Autos gefunden. Mein Bruder hat sich früh von der Schule abgewandt und einen Fuss ins Drogenmilieu gesetzt.» Wenn man da einmal drin sei, komme man fast nicht mehr heraus.

Ein junger Mann sitzt auf einer Mauer
Legende: Amine Kessaci: «Wenn man einmal im Drogenmilieu drin ist, gibt es fast keinen Ausweg.» SRF

Kessaci bemängelt die Ghettoisierung des Nordens von Marseille. Öffentliche Dienstleistungen würden verschwinden, auch die Nachbarschaftspolizei sei abgezogen.

Die einzige Zukunftsperspektive sei das Milieu: «Der grösste Arbeitgeber in den Vierteln ist der Drogenhandel. Das ist ein Problem. Viele leben in einem elenden Zustand. Alleinerziehende Mütter, die den ganzen Tag und abends arbeiten müssen und vier bis fünf Kinder haben, schaffen es nicht, diese genügend zu beaufsichtigen.»

So fallen viele Jugendliche in die Hände der Drogenbanden und arbeiten teils bereits als 13-Jährige im Milieu. Dies beobachtet Eric Mangin, Jugendrichter am Gericht in Marseille, mit Sorge: «Ich hatte letzthin einen Jugendlichen, der jeden Tag von 12 Uhr bis Mitternacht für 100 Euro am Tag Schmiere stand. Das funktioniert fast wie Menschenhandel, die Not der Menschen wird ausgenutzt.»

Er sage den Minderjährigen, dass sie mit dem Einstieg in den Drogenhandel mit Sicherheit ins Gefängnis kämen. Entweder ins staatliche Gefängnis oder sie seien in der Siedlung gefangen, weil sie ausserhalb des Drogenhandels keine Aussicht auf Eingliederung hätten.

Es muss aufhören, es wird immer brutaler. Das waren Kinder, es muss etwas getan werden, dass sie nicht in den Sog des Milieus geraten.
Autor: Zahia Meziane Kollektiv Familien gegen Gewalt in den Siedlungen

Die jungen Helfer würden nicht selten für Vergeltungsakte eingesetzt – weil sie weniger hart bestraft würden und sich die Drogenbosse nicht die Hände schmutzig machen wollen, so der Jugendrichter.

Teenager als Auftragskiller und als Opfer von Vergeltungsakten – das komme vermehrt vor, sagt die Präfektin des Departements Bouches-du-Rhône, Frédérique Camilleri: «Wir haben seit Jahresbeginn einen Anstieg der Mordfälle in Zusammenhang mit dem Drogenhandel. Manchmal werden junge Menschen als Auftragskiller rekrutiert, zum Beispiel über soziale Netzwerke. Sie sollen die Konkurrenten töten oder Angehörige beeindrucken.»

Mehrere Personen und Autos
Legende: Drogenbanden prägen die nördlichen Quartiere von Marseille. SRF

Eine solche Tat passierte im Mai in einem ruhigen Quartier mit Einfamilienhäusern im Osten von Marseille. Drei junge Männer wurden früh morgens in einem Auto durch eine Tirade von Schüssen umgebracht.

Verlagerung der Bandenkriege

«Die Jugendlichen sind nicht aus dieser Gegend, sondern aus einer Siedlung im Norden von Marseille. Dieser Vergeltungsakt hätte überall passieren können. Dies beunruhigt uns, denn es ist eine Verlagerung der Bandenkriege in ruhige Wohngebiete», sagt der Bürgermeister des betroffenen Arrondissements, Sylvain Souvestre.

Die Zunahme der Gewalt beunruhigt auch die Einwohner der Quartiere im Norden von Marseille. «Es muss aufhören, es wird immer brutaler. Das waren Kinder, es muss etwas getan werden, dass sie nicht in den Sog des Milieus geraten», sagt Zahia Meziane. Meziane ist Mitglied eines Kollektivs von Familien gegen Gewalt in den Siedlungen.

Auch Amine Kessaci will gegen Gewalt in den Siedlungen vorgehen. Mit seinem Verein Confiance versucht er zu verhindern, dass sich noch mehr Jugendliche den Banden anschliessen. Eine schwierige Mission.

10vor10, 28.06.2023, 21:50 Uhr

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