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Giftige Debatte über Migration Wie sich die AfD der jüngsten Gräueltaten in Deutschland bedient

Die Morde in Frankfurt und Stuttgart lösen heftige Reaktionen aus. Stimmen und Stimmungen aus Deutschland.

Sonntagabend beim Sommerinterview des ZDF. Jörg Meuthen, Co-Parteichef der AfD, wird zur Äusserung einer AfD-Bundestagsabgeordneten befragt, die nach der Tat in Frankfurt getwittert hatte, «Frau Merkel, ich verfluche den Tag ihrer Geburt».

Meuthen will sich nicht für seine Parteikollegin enschuldigen. Er halte den Satz zwar für unangemessen, aber nachvollziehbar: «Ich kann emotionale Überreaktionen angesichts dieses Ereignisses verstehen.» Und damit ist für ihn das Thema erledigt.

Der Fall Frankfurt, bei dem ein Mann eine Frau und ihren achtjährigen Sohn auf die Geleise stiess, hat aber überhaupt nichts mit der Flüchtlingskrise zu tun: Der Täter ist ein anerkannter Flüchtling aus Eritrea mit Niederlassungsbewilligung C, der 2006 in die Schweiz kam. Die AfD könnte genauso auch die Schweiz für die Schreckenstat mitverantwortlich machen.

Verzerrte Kriminalstatistiken

Dass die AfD 2018 in ihren Pressemitteilungen zu 95 Prozent nicht-deutsche Tatverdächtige erwähnt, obwohl ihr Anteil laut Kriminalstatistik nur 35 Prozent ist, hält Meuthen ebenfalls für legitim: «Wir verfälschen nicht die Wahrnehmung. Wir weisen auf Taten hin, die da sind.»

Den Täter des sogenannten Schwertmords von Stuttgart, der tatsächlich 2015 während der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen war, nennt Meuthen polemisch «einen von – nennen wir es – Merkels Gästen». Aber auch in diesem Fall ist das Tatmotiv noch nicht geklärt, denn Täter und Opfer kannten sich.

Die Sprache ist überzogen. Das ist eben auch eine Form von Trauer.
Autor: AfD-Anhänger

Meuthen spricht so, weil er weiss, dass er mit seinen Äusserungen punkten kann – im realen Leben und an den Urnen. Das ist bei einer AfD-Wahlveranstaltung im brandenburgischen Seelow zu beobachten. Anders als gegenüber deutschen Medien sind AfD-Anhänger Schweizer Medien gegenüber offen und zugänglich. Ein freundliches Gespräch ist ohne weiteres möglich. Dennoch: Die Hassreaktionen der vergangenen Woche im Netz stossen auf Verständnis. «Die Sprache ist überzogen. Das ist eben auch eine Form von Trauer», sagt einer.

Sachliche Diskussion verunmöglicht

Egal, auch wenn die Tat von Frankfurt direkt nichts mit der Flüchtlingskrise zu tun habe, sagt ein zweiter Mann: «Es war wieder ein Migrant. Das Schlimme ist, dass man uns diese Fehler anlastet – jeden Mord hätten wir zu verantworten. Nein! Frau Merkel hat die Leute ins Land gelassen. Sie hat schuld daran, nicht wir.»

Als AfD-Mitglied werde man diskriminiert, sagt er: «Leute wie wir fliegen von der Arbeitsstelle, nur weil wir anders denken. Das ist unsere Meinungsfreiheit. Irgendwann ist Schluss. Die Wut der Bürger ist so gross, und irgendwann muss sie raus. Dann kommt auch mal eine unqualifizierte Aussage raus, die man in den Medien gleich breittritt. Gerade bei uns.»

Die Wut besonders im Osten ist so gross, dass eine sachliche politische Diskussion nicht mehr möglich ist. Die Menschen verschiedenster politischer Lager sprechen gar nicht mehr miteinander. Dasselbe Phänomen ist in den USA seit über zehn Jahren zu beobachten. Für Deutschland aber ist es neu.

Das ZDF-Sommerinterview zum Nachschauen

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