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Grenze zu Polen und Slowakei Die LKW-Blockaden der Ukraine werden zum Problem

Polnische und slowakische Chauffeure wehren sich gegen Konkurrenz aus der Ukraine. Dabei wäre Kiew eigentlich auf mehr Hilfe angewiesen.

Ohne Zugang zu Toiletten, Wasser oder Nahrung müssen die ukrainischen Lastwagenfahrer tagelang in der Eiseskälte ausharren. Supermärkte liegen in der Regel mehrere Kilometer entfernt.

So und ähnlich geht es den ukrainischen LKW-Chauffeuren an der polnisch-ukrainischen Grenze. Inzwischen stauen sich ihre Fahrzeuge kilometerweit. Bereits sind zwei ukrainische Fahrer tot in ihren Kabinen gefunden worden.

Seit nun schon fast einem Monat versperren polnische Lastwagenfahrer drei Grenzübergänge zur Ukraine und lassen nur wenige Fahrzeuge pro Stunde durch. Vor zehn Tagen schlossen sich ihnen polnische Bauern an und versperrten einen vierten Grenzübergang.

Konkurrenz mit ungleich langen Spiessen

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Die polnischen Lastwagenfahrer – ebenso die slowakischen und die ungarischen – verlieren immer mehr Fahrten an ihre ukrainischen Kollegen, teilweise auch innerhalb dieser Länder. «Die ukrainischen Chauffeure haben viel tiefere Löhne und müssen sich nicht an die Ruhezeitvorschriften der EU halten», sagt SRF-Osteuropakorrespondentin Sarah Nowotny. Das Ganze sei im Grunde ein typischer Konflikt, wie er meist entstehe, wenn der Markt geöffnet werde zwischen reicheren, stärker entwickelten Ländern und ärmeren, schwächer entwickelten.

Eine rasche Lösung der Probleme an der Grenze ist kaum in Sicht: Die alte polnische Regierung tritt bald ab und ist froh, die heisse Kartoffel an die neue Regierung abzugeben, die aber noch gebildet werden muss. Und diese hat bislang auch noch kein Rezept kommuniziert, wie sie den Konflikt angehen will. Immerhin: «Es ist nicht festzustellen, dass es in Polen einen allgemeinen Meinungsumschwung gäbe gegenüber der Ukraine», betont Nowotny. Das westliche Nachbarland bleibe die Hauptdrehscheibe für die von Russland angegriffene Ukraine.

Die Zahl der Lastwagen, die deshalb kaum mehr vorankommen, beläuft sich nach ukrainischen Angaben inzwischen auf 2500.

EU hob im Sommer 2022 Beschränkungen auf

Angefangen hat alles mit einem Entscheid der EU im Juni 2022, mit dem man der Ukraine alle Hindernisse für Transporte auf dem Landweg nach Westen aus dem Weg räumen wollte.

Denn seit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine Ende Februar 2022 ist der Luftraum gesperrt. Und der Weg über das Schwarze Meer wurde durch die russische Marine blockiert. Deshalb bleibt nur der Landweg nach Westen.

Seither dürfen Lastwagen aus der Ukraine ohne Spezialbewilligung in die EU fahren. Zuvor war die Zahl der Fahrten durch bilaterale Abkommen begrenzt gewesen. In der Folge nahm die Zahl der Fahrten von Ukrainern in Richtung Westen um ein Vielfaches zu.

Stehende LKW-Kolonne.
Legende: Die ukrainischen LKWs stauen sich vor den Grenzübergängen teilweise auf einer Länge von mehr als zehn Kilometern. Keystone/Wojtek Jargilo

Die Lastwagen transportieren Getreide, Sonnenblumenöl oder Stahl in die EU und bringen zum Beispiel Benzin oder humanitäre Hilfe in die Ukraine zurück. Das verhilft dem ukrainischen Staat zu den dringend benötigten Einnahmen und hält die Wirtschaft trotz Krieg am Laufen.

Konkurrenz für polnische Fahrer

Doch die polnischen Chauffeure fühlen sich gegenüber ihren ukrainischen Kollegen benachteiligt und sprechen von unfairer Konkurrenz. Sie fordern die Wiedereinführung der Bewilligungspflicht für ukrainische Fahrten.

Ungarns Orbán blockiert EU-Gelder für die Ukraine

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Viktor Orban.
Legende: Reuters/Yves Herman

Ungemach droht der Ukraine auch in einem weiteren Bereich, der Unterstützung durch und das Verhältnis zur EU betrifft: Am Gipfel Mitte Dezember in Brüssel wollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder eigentlich beschliessen, dass die Ukraine in den nächsten fünf Jahren mit 50 Milliarden Euro unterstützt wird und Beitrittsverhandlungen mit Kiew aufgenommen werden sollen. Doch dem stellt sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán entgegen: Er verlangt in einem Brief an EU-Ratschef Charles Michel, dass die beiden Traktanden von der Liste gestrichen werden. Bleibt Orbán hart und legt das Veto ein, wird das zu einem grösseren Problem für die EU.

Unklar ist, ob Orbán nur den Druck erhöhen will, um an die eingefrorenen EU-Fördermittel für sein Land in Höhe von 30 Milliarden Euro zu kommen. Die EU-Kommission hatte vor einem Jahr angekündigt, das Geld nur dann freigeben zu wollen, wenn die rechtsnationale Regierung von Orbán Versprechen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit komplett umsetzt. Orbán seinerseits ist der Ansicht, dass sein Land inzwischen alle Auflagen erfüllt habe.

(Agenturen)

Seit dem Wochenende hat sich die Lage verschärft, denn nun haben sich slowakische Lastwagenfahrer ihren polnischen Kollegen angeschlossen. Sie blockieren den einzigen Grenzübergang zur Ukraine, an dem LKWs abgefertigt werden.

Aus Kiew heisst es, die Lage sei katastrophal, man spricht von Einbussen von bisher rund 400 Millionen Euro für die ukrainische Wirtschaft. Inzwischen werden eine Verknappung des Angebots und steigende Preise für importierte Güter befürchtet.

Ukraine fühlt sich im Stich gelassen

Zwar wird zurzeit intensiv verhandelt, bilateral und auch im Rahmen der EU. Eine Lösung ist aber nicht in Sicht. Und auch wenn man zu einer Einigung kommen sollte, fühlt man sich in Kiew von den westlichen Nachbarn im Stich gelassen, die das Privileg haben, unter dem Schutz der EU und der Nato zu stehen.

Hinzu kommt: Die verfahrene Situation präsentiert sich ausgerechnet in einer Zeit, in der die Ukraine geschwächt ist und sich nur noch mit Mühe und Not der russischen Angriffe erwehren kann. Anstatt einer Konfrontation mit den westlichen Nachbarn würde das Land dringend mehr Hilfe benötigen.

Echo der Zeit, 6.12.2023, 18:00 Uhr

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