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Grossbritannien Britische Regierungspartei im Überlebensmodus

Ab morgen trifft sich die konservative Regierungspartei zu ihrem jährlichen Parteitag. Dieser ist besonders wichtig, weil in Grossbritannien im kommenden Jahr gewählt wird.

Rishi Sunak hat vor einem Jahr kein einfaches Erbe angetreten. Mit ihren Eskapaden hatten Boris Johnson und Liz Truss das Land ins Chaos gestürzt. Die Umfragewerte der konservativen Regierungspartei fielen so tief, dass man durchaus von einer politischen Nahtoderfahrung sprechen konnte. Rishi Sunak versprach bei seinem Amtsantritt deshalb vor allem eines: Ruhe und Integrität.

Sunak hat das Versprechen gehalten und das Schiff stabilisiert. Der umgängliche Technokrat beendete die politische Seifenoper in Downing Street und gab Anfang Jahr der britischen Öffentlichkeit fünf Versprechen: «Meine Regierung wird die Inflation halbieren. Die Wirtschaft wieder ankurbeln. Wir werden unsere Staatsschulden abbauen. Die Warteschlangen im staatlichen Gesundheitsdienst werden massiv kürzer. Und insbesondere werden wir die kleinen Boote stoppen, mit denen Migranten illegal in unser Land kommen. Das sind die Prioritäten der britischen Bevölkerung.»

Versprechen nicht eingelöst

Mittlerweile ist die Inflation zwar leicht gesunken, aber sonst hat sich keines der Versprechen materialisiert: Noch immer überqueren Migrantinnen und Migranten unter lebensgefährlichen Umständen in kleinen Booten den Ärmelkanal. Das Asylwesen ist heillos überfordert. Fast ein Fünftel der britischen Bevölkerung wartet seit Monaten auf einen Termin im staatlichen Gesundheitssystem. Und Streiks bringen den öffentlichen Verkehr fast wöchentlich zum Erliegen.

Das schlägt auf die Stimmung. Wenn heute gewählt würde, würde die oppositionelle Labour-Party das Rennen machen. Das zeigen Wahlumfragen. Aus diesem Grund scheinen die Berater in Downing Street dem Premierminister gerade ein neues Image zu verpassen. Jetzt komme «The real Rishi» – der echte Rishi – der Macher, der das Land nicht höflich verwaltet, sondern nach konservativen Werten umkrempelt. 

«Von heute an wollen wir die Art ändern, wie in diesem Land politisiert wird. Von heute an, gehen wir unseren Weg und fällen dabei auch Entscheide, die nicht immer beliebt sind», verkündete Sunak vor wenigen Tagen. Er habe den festen Willen, dieses Land zu verändern und an einer besseren Zukunft zu arbeiten.

Sunak treibt Pläne voran

Böse Zungen behaupten zwar, die Konservative Partei habe das Land in den vergangenen dreizehn Jahren eigentlich bereits genügend umgekrempelt. Doch Sunak meint es offenbar ernst. Trotz Protesten bewilligte die britische Regierung vergangene Woche die Erschliessung der letzten Öl-Reserven in der Nordsee. Anstatt in Hochgeschwindigkeitszüge soll in den Strassenbau investiert werden. Auch das Liebäugeln mit dem Austritt aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt bei der konservativen Wählerschaft sicher gut an.

Das Problem der Konservativen ist jedoch, dass es ihnen bis heute nicht gelungen ist, die grossen Probleme dieses Landes zu lösen. Und selbst in konservativen Kerndossiers, wie Migration oder Steuerpolitik, trauen die Leute in Umfragen Labour mittlerweile bessere Lösungen zu.

Das Schiff zu stabilisieren, wird also nicht reichen. Rishi Sunak wird die Britinnen und Briten rasch davon überzeugen müssen, dass es sich lohnt, an Bord zu kommen. Sonst dürften die Konservativen bei den kommenden Wahlen untergehen.

Patrik Wülser

Grossbritannien-Korrespondent

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Patrik Wülser arbeitet seit Ende 2019 in London als Grossbritannien-Korrespondent für SRF. Wülser war von 2011 bis 2017 Afrika-Korrespondent und lebte mit seiner Familie in Nairobi. Danach war er Leiter der Auslandsredaktion von Radio SRF in Bern.

 

Echo der Zeit, 30.9.2023, 18:00 Uhr

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