Tausende von Mädchen und jungen Frauen haben in den letzten Tagen auf der Internet-Seite «Everyone's Invited» über sexuelle Belästigung und Gewalt an britischen Schulen berichtet. Die Jüngste ist neun Jahre alt, die Älteste 26. Erlebt haben sie alle dasselbe: Belästigungen, Übergriffe, Gewalt. Die meisten berichten anonym.
Viele der 13'000 Mädchen und Frauen wurden nicht nur betastet, sondern auch ausgezogen, fotografiert und teilweise sogar vergewaltigt.
Alltäglicher Spiessrutenlauf
Studentin Jess Warmsly erzählte öffentlich von ihrem Schock, als sie an der Universität Manchester eintrat: «Als ich mit Freunden abends eine Bar besuchte, spürte ich sofort am ganzen Körper fremde Hände. Als mein Freund Getränke holte, hat mich ein Typ von hinten umschlungen, bis ihn Freunde von mir verjagten. Es ist nicht normal, dass man als Frau nur mit einem männlichen Beschützer sicher ist.»
Es ist nicht normal, dass man als Frau nur mit einem männlichen Beschützer sicher ist.
Für Mary Bousted, Generalsekretärin der Lehrerinnen- und Lehrergewerkschaft, ist der Skandal keine Überraschung. Er zeige nur das Ausmass, sagte sie bei BBC. Bereits 2016 habe sie an einer Konferenz das Thema sexuelle Belästigung aufgeworfen und betont, dass die Schule für viele Mädchen ein Spiessrutenlauf sei.
Lehrerinnen-Gewerkschaft warnte schon lang
Der Pressesprecher des Bildungsministeriums habe ihr damals gesagt, sie habe keine Beweise, was erst Probleme schaffe oder nur verschlimmere, so Bousted weiter. «Die Logik war also: Man verschlimmert das Problem, indem man darüber spricht», kritisiert die Gewerkschafterin.
Die Gründe für die anhaltenden sexuelle Belästigungen an britischen Schulen seien vielschichtig, erklären Expertinnen und Experten: Für Buben aus konservativen Häusern seien Mädchen bis heute nicht gleichwertig. In teuren Privatschulen sei der Ruf der Institution oft wichtiger als das Wohlergehen einzelner Zöglinge. Im Zweifelsfall würden Vorwürfe lieber unter den Teppich gekehrt.
Harte Pornografie und soziale Medien
Als gravierendes Problem nennt Bousted die harte Pornografie. Frei zugänglich auf jedem Mobiltelefon vermittle das den Kindern ein verstörendes Bild von Sexualität.
Zudem seien die sozialen Medien ein wahrer Nährboden für sexuelle Belästigung. Diese machten es einfach, anonym Nacktbilder von Mädchen zu verschicken, die man gegen ihren Willen fotografiert hat. Frauen könnten im Netz ungestraft und ohne viel Aufwand herabgewürdigt werden. Diese Form von Belästigung habe massiv zugenommen.
Im Netz kann man junge Frauen ungestraft und ohne viel Aufwand verunglimpfen.
Regierung will durchgreifen
Schweigen und unter den Teppich kehren – das geht nicht mehr. In den vergangenen Tagen ist einiges passiert. Die Polizei hat eine nationale Helpline eingerichtet.
Bildungsminister Gavin Williamson nannte die Übergriffe an öffentlichen und privaten Schulen, darunter Elite-Einrichtungen wie das Eton College, «schockierend und schändlich.» Die Regierung werde «geeignete Massnahmen» ergreifen. Alle Betroffenen würden unterstützt und geschützt.
Oberste Schulaufsicht kündigt Untersuchung an
Aktiv wurde auch Ofsted, die oberste Aufsichtsbehörde im britischen Bildungssystem. Ofsted will eine Untersuchung einleiten. Das tönt angebracht und zweckmässig.
Man fragt sich allerdings, warum erst jetzt. Einzelne Kommentare gehen sogar weiter und fragen, ob die britische Schulaufsichtsbehörde die richtige Instanz für das Ziel dieser Untersuchung sei – nämlich das eigene Versagen zu untersuchen.