Zum Inhalt springen

Grossbritanniens «Partygate» Boris Johnson sagt einmal mehr Sorry – ob das reicht?

«Sorry, Sorry, Sorry», sagt der britische Premierminister Boris Johnson zum wiederholten Mal. Er hat bereits Übung darin, sich für die Partys am Regierungssitz während des strengen Corona-Lockdowns zu entschuldigen.

Die ersten Gerüchte beginnen im November 2021 zu zirkulieren, die engen Mitarbeitenden und auch Boris Johnson selbst hätten sich bisweilen nicht an die Corona-Regeln gehalten.

Nur wenige Tage nach den ersten Gerüchten tauchen erste Bilder von feuchtfröhlichen Momenten am Regierungssitz auf. Und was tut Boris Johnson? Er bestreitet zunächst jegliche Regelverstösse – und versucht sich mit luftigen Worten herauszureden.

Johnsons «Schwamm-drüber-Taktik»

Und als diese Taktik nicht aufgeht, weil die Indizien zu eindeutig werden, setzt er eine interne Untersuchung an und beginnt sich zu entschuldigen. Auch dann wieder, als er vor einem Monat von der Polizei eine 50-Pfund-Busse aufgebrummt bekommt, für das Geburtstagsfest, das am 19. Juni 2020 stattgefunden hat – mitten im ersten strengen Lockdown, den Johnson selbst verordnet hatte. Doch Johnson entschuldigt sich nur halbherzig.

Er bezahlt die Busse umgehend – und startet seine «Schwamm-drüber-Kommunikationstaktik»: Er sei ja nur «wenige Minuten» und «zwischen zwei Sitzungen» mit anderen Menschen zusammen gewesen. Und der Geburtstagskuchen sei nicht angeschnitten worden, lässt er durchsickern. Alles halb so wild soll das Publikum denken.

Doch der interne Untersuchungsbericht von Sue Gray kommt zu einem anderen Schluss: an der 10 Downing Street ist es während des Lockdowns ziemlich wild zu und hergegangen. Gray hat über ein Dutzend Partys untersucht und schreibt nun von «Führungsversagen an verschiedenen Stellen und während verschiedenen Momenten» während der Pandemie und von einem «exzessiven Alkoholkonsum». Und: Es brauche am Regierungssitz «klare, verbindliche Regeln», um diese Trinkkultur einzudämmen.

Energiekrise statt Partys

Und was sagt Johnson heute? «Sorry. Ich habe geglaubt, alle Regeln seien jederzeit eingehalten worden. Inzwischen weiss ich es besser.» Bei der Entschuldigung hält sich Johnson am Mittwochnachmittag im Unterhaus nicht lange auf: Er habe bereits begonnen mit der Reorganisation, seit der ersten Fassung des internen Untersuchungsberichts von Ende Januar. Gray bescheinige ihm, die Massnahmen gingen in die richtige Richtung. Er werde noch weitere ergreifen.

Vor allem aber, gelte es jetzt, die aus dem Ruder laufenden Energie- und Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen. Das sei das Wichtigste, versucht Johnson die Flucht nach vorn. Mit anderen Worten sagt er: «Schwamm drüber» – über die «Partygate»-Affäre. Es gebe Wichtigeres zu tun.

Wichtige Nachwahlen

Ob Johnson damit längerfristig durchkommt? Eine erste Antwort werden die Nachwahlen geben, die in einem Monat in zwei Wahlkreisen abgehalten werden, die bisher von Tories gehalten werden. Verlieren die Konservativen dort, könnte dies Johnson arg in Bedrängnis bringen.

Klar ist heute schon: Johnsons Popularität leidet stark unter den Lockdownpartys. In einer Umfrage, die der «Independent» kürzlich bei über 2000 Personen hat durchführen lassen und heute publik macht, bekommt Johnson katastrophale Noten: 60 Prozent der Befragten geben an, sie seien unzufrieden mit seiner Arbeit. Nur 34 Prozent finden, er mache einen zufriedenstellenden Job.

Das dürfte Boris Johnson zu denken geben. Dagegen hilft kein «Schwamm drüber». Und auch kein weiteres Sorry. Dagegen hilft eine aufrichtige, ehrliche Politik.

Michael Gerber

Grossbritannien-Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Michael Gerber ist seit Frühjahr 2022 TV-Korrespondent für Grossbritannien und Irland. Zuvor war er Koordinator der SRF-Fachredaktion Ausland und Sonderkorrespondent. Von 2011 bis 2017 berichtete er als Korrespondent aus Frankreich. Zuvor war er Korrespondent in der Westschweiz und Redaktor und Reporter von «10vor10».

SRF 4 News, 25.05.2022, 13:30 Uhr

Meistgelesene Artikel